Wan: Leichen von Schutzsuchenden verborgen unter dem Schnee?

In Wan an der Grenze zu Ostkurdistan sterben immer mehr Schutzsuchende in Eis und Schnee.

Die türkisch-iranische Grenze zwischen Nord- und Ostkurdistan kostet immer mehr Schutzsuchenden das Leben. Ein Großteil der Grenze verläuft im Gebirge und Hochgebirge. Durch die unter anderem aus EU-Beitrittshilfen bezahlte Hochrüstung der Grenze sind Schutzsuchende gezwungen, immer gefährlichere Wege zu immer widrigeren Bedingungen zu nehmen. Viele Schutzsuchende verschwinden einfach im Eis und Schnee des Hochgebirges. Nach offiziellen Angaben sind im vergangenen Jahr 50 Leichen geborgen worden. Die Toten werden häufig, wenn überhaupt, erst nach der Schneeschmelze entdeckt. Immer wieder werden Schutzsuchende aber auch von Wölfen und Geiern gefressen oder stürzen in unzugängliche Spalten und Schluchten. Es handelt sich um Männer, Frauen und Kinder, die insbesondere aus Afghanistan und dem Iran mit der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit aufgebrochen sind.

Die Region Ebex (Çaldıran) wird vermehrt als Transitstrecke genutzt. Hier herrschen im Winter Temperaturen von bis zu 40 Grad minus. Auf jedem Hügel an der Grenze zum Iran befinden sich Militärbasen, Wachtürme und Polizeistationen. Die Schleuser kooperieren häufig mit den Behörden und lassen die Schutzsuchenden nach Passieren der Grenze im Gebirge zurück. Erst am 9. Februar 2019 starben zehn Flüchtlinge, die versuchten, die Grenze beim Dorf Sarıçimen im Kreis Ebex zu überqueren. Soweit bekannt handelte es sich um sieben Afghanen und drei Kurden. Ihre Leichen sind seit über einem Monat verschwunden. Man hat sich nicht einmal um eine Bergung bemüht.

Die meisten Flüchtlinge, die es bis nach Wan (Van) schaffen, sind auch dort in keiner Weise in Sicherheit. Ihnen droht Verhaftung und Zurückschiebung. Sie leben auch jetzt bei klirrender Kälte auf den Straßen von Wan und manche am Überlandbusbahnhof.

Ein Bürger, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht nannte, erzählt gegenüber ANF, ihm habe ein Schleuser mitgeteilt, dass an der Grenze unter dem Schnee Hunderte von Leichen liegen. Obwohl es nicht möglich ist, diese Information zu bestätigen, ist das Ausmaß der Tragödie spürbar.

Der Zeuge berichtet: „Der Menschenhandel ist zu einem Industriezweig geworden. Jeder kennt die Menschenhändler hier, sogar der Staat kennt sie, aber niemand tut etwas. Es gibt so viele Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze, doch wie kommen diese Menschen über die Grenze? Der Staat toleriert diese Übergänge. Menschenhändler lassen diese Menschen an der Grenze zu Tode kommen, nachdem sie ihr Geld erhalten haben. Die Menschen, die an der Grenze ausgesetzt werden, erfrieren oft, weil sie den Weg nicht kennen. Niemand, der diese Region nicht kennt, kann im Winter über die Grenze nach Ebex gelangen. Die Menschenhändler nehmen ihr Geld und lassen diese Menschen zum Sterben zurück.“

Nach Angaben von Menschenrechtsverteidigern starben 2019 mindestens 37 Flüchtlinge bei der Grenzüberquerung in der Provinz Wan. Darüber hinaus starben im Juli 2019 bei einem Unfall mit einem Fahrzeug, das Flüchtlinge transportierte, 17 Menschen und 50 wurden verletzt. Zuletzt wurden mehr als 30 Flüchtlinge, die am 9. Februar am Ufer des Wan-Sees ausgesetzt worden waren, halb erfroren aufgefunden.