Vortrag über Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ in Berlin

Auf Einladung von „Xwendekarên Berlin“ hat Reimar Heider den vierten Band von Abdullah Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ vorgestellt. Heute Abend findet die nächste Veranstaltung in Berlin zu dem kurdischen Vordenker statt.

Die kurdische Studierendeninitiative „Xwendekarên Berlin“ hatte am Dienstagabend in das Café Karanfil in Neukölln eingeladen, um Interessierten einen Vortrag unter dem Titel „Revolutionäre Tage zur demokratischen Moderne“ zu bieten. Als Referent war Reimar Heider zu Gast, Sprecher und Übersetzer der Internationalen Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan“. Heider stellte den vierten Band von Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ mit dem Titel „Die demokratische Zivilisation – Wege aus der Zivilisationskrise im Nahen Osten“ vor. Mehr als zwei Dutzend Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil.

In etwas mehr als drei Jahren (2007–2010) hat Abdullah Öcalan mit dem „Manifest der demokratischen Zivilisation“ ein fünfbändiges Opus Magnum verfasst, in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus 35 Jahren radikaler Theorie und revolutionärer Praxis zusammenfügt. Nachdem er in den ersten drei Bänden die Geschichte der Zivilisation von ihren Anfängen bis zur kapitalistischen Moderne neu interpretiert und mit der Soziologie der Freiheit eine Methode für die Lösung der drängendsten Probleme des 21. Jahrhunderts vorgeschlagen hat, wirft er im vierten Band einen näheren Blick auf die herrschenden Verhältnisse des Nahen Ostens. Dort zeigt sich heute die globale Zivilisationskrise am deutlichsten. Öcalan legt nahe, dass dort, wo vor 5.000 Jahren die Zentralzivilisation ihren Anfang nahm, auch der Schlüssel zu ihrer Überwindung zu finden sein muss. Die demokratische Zivilisation beleuchtet die geschichtlichen Ursachen der globalen Krise genauso wie die vielfältigen Traditionen von Widerstand – religiöse, kulturelle, dezentrale – und vor allem deren Potentiale, die kapitalistische Moderne zu überwinden.

„Die demokratische Zivilisation – Wege aus der Zivilisationskrise im Nahen Osten“ schließt mit einer Diskussion der für eine globale Transformation wesentlichen Fragen: Wie leben? Was tun? Wo beginnen? Daran knüpfte auch der Vortrag an. Heider erinnerte daran, dass das Hauptwerk Abdullah Öcalans wie bereits andere Essays zuvor als „Verteidigungsschrift“ in Form einer Eingabe an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu seinem Gerichtsverfahren nach seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus Kenia in die Türkei verfasst wurde. Seine Schriften sollten allerdings nicht in dem Sinne gesehen werden, dass sie „nur“ gerichtliche Dokumente seien. Es handelte sich um komplexe Werke, in denen Öcalan über demokratische Identität, Geschichtsschreibung und das Wirken der kurdischen Bewegung reflektiert. Darüber hinaus hätten sie den Anstoß gegeben, die praktische und theoretische Ausrichtung der kurdischen Bewegung in deren jetzige, sich auf Basisdemokratie, Frauenbefreiung und Ökologie stützende Richtung zu lenken.

„Der vierte der fünf Bände von Öcalans Hauptwerk stellt zusammen mit den vorherigen Erscheinungen eine neue allgemeine politischer Theorie dar“, sagte Heider. „Er entwickelt in den Schriften Methoden, die er dann auf den Nahen Osten anwendet. Öcalans Ideen sind nicht jedoch nicht wie oftmals angenommen nur auf Kurdistan und die Nahostregion beschränkt. Es sind Reflektionen und Vorschläge für Organisations- und Verwaltungsformen weltweit.“

Zu den zentralen Themen in „Die demokratische Zivilisation – Wege aus der Zivilisationskrise im Nahen Osten“ gehörten unter anderem auch eine weitere Auseinandersetzung mit dem Realsozialismus und den Theorien des Staates von Hegel und Marx. Des Weiteren wird die Rolle der Geschlechter und deren Befreiung als wesentliche Grundlage für ein Zusammenleben ohne Unterdrückung beschrieben. Die Entwicklung des Kapitalismus im 16. Jahrhundert und die religiösen, feudalen Bewegungen gegen eine solche Entwicklung werden ebenso beleuchtet wie auch die neuen Anforderungen an die revolutionären Männer und Frauen der Bewegung, weiter Bildung in die breite Bevölkerung zu tragen und somit zu deren Selbstwirksamkeit beizutragen.

Podiumsdiskussion über Öcalan am Donnerstagabend

Insgesamt konnte die Vorstellung des Bandes das Interesse an den Konzepten Abdullah Öcalans und seiner Person wecken. Es waren über 25 Teilnehmende, welche am Ende der Vorstellung angeregt Fragen stellten sowie Literatur erwarben und in kleinen Gruppen ihre Diskussionen weiterführten. Heute Abend folgt bereits die nächste Veranstaltung in der Hauptstadt zu den Theorien des kurdischen Vordenkers Öcalan. Im Haus der Demokratie (Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin) findet eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Abdullah Öcalan und der demokratische Konföderalismus“ über die Isolationshaft des PKK-Begründers im türkischen Inselgefängnis Imrali und seine Ideen zu einer befreiten Gesellschaft statt. Beginn der Veranstaltung ist 18 Uhr.