„Vor allem diejenigen, die schweigen, sind verantwortlich“

Sultan Bozkurts Tochter befindet sich seit dem 1. März im Hungerstreik. Die Mutter hält Wache vor dem Gebze-Gefängnis und erklärt: „Wenn hier Särge herauskommen, dann sind dafür auch diejenigen, die schweigen, verantwortlich.“

Sultan Bozkurts Tochter Newroz Bozkurt befindet sich seit dem 1. März im Hungerstreik für die Aufhebung der Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan. Die Mutter hält seit 26 Tagen Wache vor dem Gebze-Gefängnis und warnt davor, dass es bald Tote geben werde. Während dieser 26 Tage wurde Sultan Bozkurt immer wieder von der Polizei behindert, geschlagen und festgenommen. Sie ließ sich dadurch aber nicht von ihrer Aktion abbringen. Die Frage der Isolation Öcalans sei eine Frage der Isolation der gesamten Gesellschaft, betont sie. Wir sprachen mit Sultan Bozkurt über den Hungerstreik und den Kampf gegen Isolation.

Seit 21 Jahren in Haft

Sultan Bozkurt reist seit 21 Jahren ihrer Tochter von Gefängnis zu Gefängnis hinterher. Sie wuchs in Mêrdîn-Qoser (Mardin-Kızıltepe) auf, heiratete dort und war 1994 gezwungen zu fliehen. Sie kenne daher die Zerstörung des Krieges und den Wert des Friedens, erklärt sie und betont, dass ihre Tochter schon in jungen Jahren die gnadenlose Repression des Staates kennengelernt habe. Bereits im Alter von 14 Jahren wurde sie das erst Mal festgenommen.

Mit 14 festgenommen und 27 Tage gefoltert

Sie erinnert sich, wie ein Polizist in Gebze sie aufhielt und sagte: „Die ist seit zwanzig Jahren drin und jetzt fällt dir deine Tochter ein?“ Sultan Bozkurt erklärt dazu, dass ihre Tochter seit 21 Jahren rechtswidrig inhaftiert ist: „Meine Tochter hat nicht einmal einer Ameise etwas zu Leide tun können. Als sie festgenommen wurde, war sie 14 Jahre alt. Sie erklärten sie zur Verantwortlichen von Amed (Diyarbakir) und folterten sie 27 Tage lang auf die übelste Weise. Wir haben sofort unsere Anträge bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. So versuchten wir zu verhindern, dass sie nicht einfach in der Haft ‚verschwindet‘. Auch als wir migrieren mussten, ließen sie meine Tochter nicht in Ruhe. Als sie aus dem Gefängnis von Batman kam, wurde versucht, sie mit dem Auto zu entführen. Wir haben sehr gelitten. Das ist Einschüchterungs-, ja Vernichtungspolitik. Wir wollen, dass sich diese Politik jetzt ändert.“

Es reicht!

Öcalan müsse umgehend seine Familie und seine Anwälte treffen können, erklärt Bozkurt, denn ohne die Aufhebung der Isolation werde es weder Frieden noch Freiheit geben. Die Hungerstreikenden geben ihr Leben jeden Tag ein bisschen mehr, um der Gesellschaft einen Weg zu öffnen.

Warum schweigen die Sozialisten?

Bozkurt schließt mit einem Aufruf an alle und sagt: „Unsere Kinder stehen kurz vor dem Tod. Später soll keiner sagen, ich habe nichts gehört oder gesehen. Wenn hier Särge herauskommen, dann sind diejenigen, die gegenüber dieser Grausamkeit geschwiegen haben, genauso verantwortlich. Wir werden sie als erste bei ihren Kragen packen. Klar, der Staat ist eine Diktatur und bewegt sich nicht, aber warum schweigt ihr? Warum schweigen die Sozialisten? Aus Angst? Die Angst nützt nichts und Mut kann alles zerschlagen. Nicht nur Abdullah Öcalan, die gesamte Gesellschaft ist isoliert. Niemand macht Kundgebungen, niemand erhebt seine Stimme. Wie weit wird dieses Schweigen noch reichen? Wir müssen sagen: Es reicht! Alle müssen aufstehen und uns Mütter unterstützen. Lasst uns gemeinsam ‚Stopp‘ zu dieser Grausamkeit sagen.“