Verweigerung der Einbürgerung in Freiburg

Der Unterstützerkreis „Hatin“ in Freiburg fordert in einem offenen Brief die Einbürgerung des Kurden Mustafa C., der sich seit sechs Jahren um eine deutsche Staatsbürgerschaft bewirbt.

Schon 2014 wollte sich Mustafa C. aus Freiburg einbürgern lassen. Der 42-jährige Kurde lebt seit mehr als 30 Jahren in der Bundesrepublik, ist berufstätig und eigentlich ein Paradebeispiel der immer geforderten „gelungenen Integration“. Seine gesamte Familie ist im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft, und auch er hatte vor, mit einem deutschen Pass Bürger dieses Landes zu werden. Auf seinen ersten Einbürgerungsantrag hin folgten Ablehnungen, Anhörungen, Widersprüche, Klagen – er geriet in die Mühle der deutschen Bürokratie und der Sicherheitsapparate. Mittlerweile sechs lange Jahre schlägt sich der Familienvater schon damit herum. Das belastet, das kostet, das lässt das Vertrauen in das Land, das zur Heimat wurde, schwinden. Nun steht die nächste Verhandlung am 1. April 2020 beim Verwaltungsgericht Freiburg bevor. Ein Unterstützerkreis machte den Fall öffentlich, weil er aufzeigt, mit welchen Schwierigkeiten Kurd*innen in Deutschland zu kämpfen haben.

In den 80er Jahren musste Mustafa C.‘s Vater wie viele andere vor der Verfolgung des türkischen Staates fliehen. Er baute sich in Deutschland ein neues Leben auf mit der Hoffnung, dass Kurde-sein in Europa nicht zum Stigma gerät. Er sollte sich täuschen. 40 Jahre später wird seinem Sohn die kurdische Identität zum Verhängnis – weil er diese nicht leugnet, weil er sich mit anderen Kurd*innen in einem Verein trifft, wo man Tee trinkt, die Muttersprache pflegt und auch die türkische Politik genau verfolgt. Zu dieser Politik des Völkermordes und des Wegs in einen islamischen Faschismus will Mustafa C. nicht schweigen. Schon immer setzte er sich ein für eine gerechte und vielfältige Gesellschaft, für eine ökologische und friedliche Zukunft – in Deutschland, weltweit, und auch in Kurdistan, wo seine Wurzeln sind. Er erhebt seine Stimme, wenn die Regierung in Ankara gewählte kurdische Bürgermeister*innen aus dem Amt jagt oder einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Nachbarländer führt. In Deutschland sollte dies möglich sein – dachte er.

Die Bundesrepublik jedoch sieht sich seit mehr als 100 Jahren an der Seite der jeweiligen Regierung in Ankara. Es ist im Interesse der deutschen Außenpolitik, den türkischen Partner nicht zu erzürnen. Dass seit der Staatsgründung die Verfolgung von Minderheiten Agenda türkischen Regierungshandelns ist, war noch nie Grund für eine Aufgabe der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Ankara. Nach dem Völkermord an den Armeniern sind es heute die Kurd*innen, deren Existenz entweder geleugnet wird oder die man gnadenlos bekämpft, wenn sie sich nicht „türkisieren“ lassen. Aus der Entschlossenheit, sich gegen den Versuch einer Assimilierung organisiert zu verteidigen, entstand die PKK. Sie ist seit mehr als einem halben Jahrhundert innenpolitischer Hauptfeind jeder türkischen Regierung. Getreu dem Motto „dein Feind ist auch mein Feind“ verhält sich die Bundesregierung. 1993 wurde die Arbeiterpartei Kurdistans in Deutschland verboten. Seitdem gehört es zur deutschen Staatsräson, die PKK als „terroristisch“ zu verunglimpfen und damit den Erwartungen des Partners in Ankara Genüge zu leisten. Dabei scheint es egal zu sein, welche Ziele die PKK verfolgt und wie oft ihr Vorsitzender Abdullah Öcalan einen Friedensprozess einzuleiten versuchte. Eine Neubewertung findet nicht statt. Wer als Kurde es wagt, die türkische Regierung zu kritisieren, dem wird sofort „PKK-Nähe“ unterstellt. Je nach Stand der aktuellen Beziehungen zwischen Berlin und Ankara geht Deutschland dann mal mehr, mal weniger repressiv vor. Aber seit Jahrzehnten gilt: Für Kurd*innen ist es recht einfach, zum „Terroristen“ zu werden. Oft reicht ein Schild mit der Aufschrift „Frieden“.

In den letzten Jahren hat der Verfolgungswille gegenüber Kurd*innen in der Bundesrepublik kontinuierlich zugenommen. Nach den Verboten nahezu aller kurdischen Symbole, nach Razzien in Vereinen und Verlagen, nach schikanösen Auflagen bei Versammlungen wird in jüngster Zeit vermehrt das Aufenthalts- und Ausländerrecht bemüht, um kurdische Aktivist*innen zu kriminalisieren, mundtot zu machen und einzuschüchtern.

Mustafa C. ist nur einer von vermutlich mehreren Tausend in Deutschland, denen die Einbürgerung verwehrt wird. Anderen – wie Murat Akgül  – wird die Niederlassungserlaubnis entzogen und sie werden ausgewiesen. Zozan G. drohte der Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder. Es gibt viele Beispiele. Sie alle wie auch zahlreiche deutsche Aktivist*innen engagierten sich gegen Erdogans Kriege und sehen sich plötzlich pauschal mit dem Vorwurf der „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ konfrontiert. Sie gelten als „Gefährder“, weil sie die außenpolitischen Interessen der BRD gefährden. Sie werden zum „Sicherheitsrisiko“, denn durch ihren öffentlichen Protest riskiert die Bundesrepublik den Zorn Erdogans.

Würde Mustafa C. seine Kinder statt in den örtlichen Fußballverein zu Kriegsspielen in die nächste Ditib-Moschee schicken, hätte er weniger Probleme. Würde Mustafa C. seine kurdische Identität leugnen und sich beim nächsten Sicherheitsgespräch von einer Bewegung distanzieren, die für Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie eintritt, dürfte seine Einbürgerung kein Problem sein. Dass er dies nicht tut, verhindert jetzt zwar den problemlosen Erhalt eines deutschen Passes, dafür aber kann Mustafa C. ohne zu Erröten in den Spiegel schauen.

In ihrem offenen Brief fordern Freunde von Mustafa C. die Verweigerung der Einbürgerung zurückzunehmen und „das diskriminierende Vorgehen des Amts für Migration und Integration gegenüber kurdischstämmigen Mitmenschen zu beenden.“ Der Unterstützerkreis hofft, dass die deutsche Politik die Stigmatisierung und Verfolgung der Kurd*innen in Deutschland endlich aufgibt und erkennt, dass die „Gefahr für die Sicherheit und Ordnung“ vom türkischen AKP/MHP-Regime und seinen Anhängern ausgeht.