Nürnberger Kurde in Untersuchungshaft im Hungerstreik
Der Nürnberger Kurde Murat Akgül ist in Untersuchungshaft in einen Hungerstreik getreten.
Der Nürnberger Kurde Murat Akgül ist in Untersuchungshaft in einen Hungerstreik getreten.
Murat Akgül kommt aus Mardin. Er lebt seit 30 Jahren in Deutschland mit einer Niederlassungserlaubnis, ist verheiratet und Vater von vier Kindern - davon zwei mit deutscher Staatsangehörigkeit. Mit einer festen Arbeitsstelle und Wohneigentum würde ihn jeder als „gut integriert“ bezeichnen. Doch Murat ist Kurde und dachte nie daran, seine Identität zu verbergen. Er engagierte sich im örtlichen kurdischen Verein. Dort war ein Stück alte Heimat, man trank Tee, sprach seine Muttersprache, feierte und trauerte gemeinsam, wenn wieder mal schlechte Nachrichten eintrafen. Als die türkische Armee die kurdischen Städte überfiel, trug man gemeinsam die Wut und den Protest auf die Straße. Nach der Befreiung von Kobanê wurde gefeiert, natürlich mit den Fahnen der YPG.
Was damals möglich war, wird mittlerweile zur Straftat. Kurde zu sein, heißt nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland: Stigmatisierung, „Terror“-Verdacht, Repression. Selbst Demonstrationen mit dem Ruf nach Frieden, der Forderung nach einem Ende von Isolationshaft oder der Einhaltung von Menschenrechten kommen nie ohne ein Großaufgebot der Polizei aus. Man lebt notgedrungen mit den Schikanen einer Verbotspolitik, die ihresgleichen sucht. Manchmal will man sich die aufgezwungene Unsichtbarkeit nicht mehr gefallen lassen. Dann trägt man eine Fahne der Volksverteidigung von Rojava, die „an sich“ auch gar nicht verboten ist. Es kommt auf den „Kontext“ an. Schon in diesem – politisch gewollten – Konstrukt ist die Spaltung angelegt. Der Freiheitskampf der PKK gilt als „terroristisch“. Wer auch nur den Anschein erweckt, sich davon nicht genügend zu distanzieren, gerät in die Mühle der Kriminalisierung.
Zurück zu Murat. Er trug im Sommer 2018 eine YPG-Fahne. Es folgte, was viele kennen: Personenfeststellung, Anzeige wegen Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Diese wurde zwar fallengelassen, aber die Polizei informiert bei einer Anzeige gegenüber einem Ausländer automatisch die Ausländerbehörde und den Staatsschutz. Es folgte das übliche Verfahren bei Menschen mit kurdischer Identität: Sicherheitsgespräch und Abruf von Informationen des Verfassungsschutzes. Ergebnis: Murats Teilnahme an Demos sowie der Aufenthalt im kurdischen Verein lasse darauf schließen, dass er die Sicherheit der Bundesrepublik und deren freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet. Bist du Kurde, musst du erst mal beweisen, nicht automatisch „Terrorist“ zu sein.
Nach diesem „Sicherheitsgespräch“ und den „Erkenntnissen“ des Staatsschutzes folgten dann Ausweisungsverfügung, Wiedereinreiseverbot von zehn Jahren, Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet, was unter anderem dazu führte, dass Murat seinen Beruf mit Einsätzen außerhalb der Stadt nicht mehr ausüben konnte. Bei Verstoß gegen diese Auflagen wurde ein Zwangsgeld angedroht.
Ende Mai 2019 dann holten acht Polizeibeamte Murat Akgül aus seiner Wohnung ab und setzten ihn in ein Flugzeug nach Istanbul. Denn auch wenn über die Klage gegen das Ausweisungsverfahren noch nicht entschieden wurde, ist eine Abschiebung dennoch rechtlich möglich.
In der Türkei wurde Murat sofort verhört und nur aufgrund der Tatsache, dass den türkischen Sicherheitsbeamten noch keine Akten vorlagen, kam er nicht gleich in Haft. Als man ihm sagte, er würde beobachtet werden, tauchte er unter und organisierte mittels Schlepper seine Rückreise nach Deutschland.
Unter lebensgefährlichen Umständen gelangte Murat über die sogenannte Balkanroute im Juli 2019 wieder in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. In der Erstaufnahmeeinrichtung haben Polizeibeamte ihn kurz daraufhin festgehalten und in Gewahrsam genommen. Sie teilten ihm mit, es gäbe ja eine Einreisesperre und deswegen käme er in Abschiebehaft. Die Staatsanwaltschaft sah damals jedoch keinen Grund dafür. Die Polizisten teilten ihm dann auch noch mit, ihn erwarte ein Strafverfahren wegen illegaler Einreise. Nur durch rasches Eingreifen der Anwälte und Unterstützung durch die Öffentlichkeit und Freunde konnte die Abschiebehaft verhindert werden. Daraufhin wurde er zunächst ins Ankerzentrum nach Donauwörth, dann nach Augsburg verlegt.
Das Bundesamt wollte Murat daraufhin nach Slowenien überstellen, wo er Fingerabdrücke abgeben musste. Das Verwaltungsgericht Augsburg folgte aber der Argumentation des Anwalts, wonach Deutschland für die Prüfung seines Asylantrags zuständig ist. Nach diesem „Sieg über die Dublin-Bestimmungen“ wähnte sich Murat einigermaßen sicher.
Doch es kam anders: Am 28. Oktober wurde er früh morgens in der Gemeinschaftsunterkunft in Augsburg verhaftet und in Handschellen zur Eröffnung des Haftbefehls zum Amtsgericht Fürth gebracht. Der Vorwurf: Unerlaubte Einreise trotz Aufenthaltsverbots nach Ausweisung. Als Grund für die Anordnung von Untersuchungshaft wurde Fluchtgefahr genannt, da wegen unerlaubtem Aufenthalt eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren droht. Der ermittelnde Richter argumentierte unter anderem mit den Gründen der Ausweisung. Diese sei aufgrund einer angeblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die freiheitlich-demokratische Grundordnung erfolgt. Konkretisiert wurde der Vorwurf mit einer angeblichen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, weshalb auch die höchst mögliche Wiedereinreisesperre von zehn Jahren verfügt wurde.
Nach der Anhörung vor dem Fürther Amtsgericht wurde Murat dann sofort in die JVA Nürnberg gebracht, wo er sich nun in Untersuchungshaft befindet. Sein Anwalt Yunus Ziyal kündigte an, Haftbeschwerde einzulegen. Das Landgericht soll prüfen, ob ein dringender Tatverdacht sowie als Haftgrund Fluchtgefahr vorliegen.
Nach einer ersten Einschätzung der neuen Entwicklung deutet vieles darauf hin, dass die Inhaftierung eine Art „Racheaktion“ für das in den Augen der Justiz verlorene Dublin-Verfahren ist, denn der Haftbefehl wurde zwei Tage nach dieser Entscheidung ausgestellt.
Der Haftgrund „Fluchtgefahr“ erscheint in diesem Zusammenhang absurd. Wohin sollte Murat Akgül fliehen wollen? Und warum war der Haftbefehl die Monate zuvor nicht notwendig? Über das kommende Strafverfahren wegen „illegaler Einreise“ wusste Murat immer Bescheid. Welchen Grund sollte er haben, jetzt zu fliehen?
Murat selbst war während der ganzen Zeit auch nach den traumatisierenden Erlebnissen mit den Schleppern und in den Ankerzentren stark und voller Motivation. Seine Moral konnte nicht gebrochen werden. Jetzt ist er empört und wütend über die Unterstellung, er würde untertauchen. Noch bei der Haftanhörung verkündete er, dass er in den Hungerstreik trete.
Die Familie und der Unterstützerkreis sind sich einig, dass hier versucht wird, Kurden, die sich in Deutschland politisch artikulieren, einzuschüchtern.
Das Nürnberger Bündnis für Frieden in Kurdistan meint dazu: „Murat ist durch vielfältiges kulturelles und soziales Engagement sehr bekannt. Das skandalöse Vorgehen gegen eine – wahrscheinlich eher zufällig herausgegriffene – Person soll wohl Signal an alle Kurd*innen sein, sich mit Protesten gegen die türkische Aggression lieber zurückzuhalten. In einer Zeit, in der Kurd*innen vom türkischen Staat und mit ihm verbündeter Terrorbanden des IS angegriffen und getötet werden, verschärft die deutsche Justiz ihre Repression gegenüber denen, die täglich um ihre Angehörigen und Freunde bangen. Dass Erdoğan in allen Kurden ‚Terroristen‘ sieht, ist bekannt. Dass sich die Bundesregierung dies zu eigen macht und auch in dieser Zeit der türkischen Invasion daran festhält, ist ein Skandal. Wir solidarisieren uns mit Murat und fordern seine unverzügliche Freilassung. Wir werden Murat und seine Familie weiter begleiten und gegen die Erdoganisierung hierzulande kämpfen.“