Die Zahl der Erdbebentoten in Kurdistan, der Türkei und Syrien ist auf über 41.000 gestiegen. In der Türkei und Bakur (Nordkurdistan) wurden bisher 35.418 Todesopfer registriert, in Rojava und Syrien 5.900. Die Zahl der Binnenflüchtlinge in der Türkei und Nordkurdistan beträgt 600.000, 1,6 Millionen Menschen sollen in Notunterkünften untergebracht sein. Besonders dramatisch ist die Situation in der Provinz Gurgum (tr. Maraş), wo das Epizentrum des schwersten Bebens lag. Elbistan und die umliegenden Dörfer wie auch Markaz (Pazarcik) und Nûrhêq (Nurhak) sind weitflächig zerstört. Allein in Nûrheq, eine Kleinstadt mit 12.000 Einwohner:innen, sind mindestens 300 Menschen ums Leben gekommen und Tausende verletzt worden. Viele Menschen liegen weiter unter den Trümmern, während die Such- und Bergungsarbeiten an manchen Stellen weitergehen. Die Probleme der Unterbringung der Überlebenden bei einer Eiseskälte von Temperaturen im zweistelligen Minusbereich sind nicht gelöst.
Viel zu späte Hilfe
Die Siedlung Sêvreşan (Barış) in Gurgum ist besonders schwer vom Erdbeben betroffen. Dort wurden bisher mehr als 20 Leichen gefunden. Aus einer Wohnung wurden nach vier Tagen sieben Leichen geborgen und zwei Überlebende befreit. Die Angehörigen berichteten gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya, dass die Verschütteten erfroren seien, da die Hilfe viel zu spät gekommen sei. Ali Güzel fand nach vier Tagen die Leiche seines verschütteten Vaters. Er selbst versuchte in diesen Tagen, die Trümmer zu räumen. Er berichtete: „Sieben Menschen aus unserem Haus waren in den Trümmern eingeschlossen und sind gestorben. Wir kamen aus Elbistan, um zu helfen, aber wir konnten nicht durchkommen, weil die Straßen gesperrt waren. Die Autos kamen nicht weiter. Wir konnten die Ruinen nur erreichen, indem wir die Fahrzeuge schoben. Ich barg meine Schwägerin aus den Trümmern, wir brachten sie ins Krankenhaus in Elbistan, aber meinen Bruder konnten wir nicht finden. Nach drei Tagen konnten wir eine Maschine aus dem Besitz des Dorfes einsetzen und zogen so mit Hilfe der Dorfbewohner Menschen unter den Trümmern hervor. Am vierten Tag kam der Staat. Ich habe einen Krankenwagen angehalten, um meine Schwägerin ins Krankenhaus zu bringen, aber man sagte uns: ‚Es gibt dringendere Fälle als Ihren.‘“
„Wir haben die Toten mit unseren Händen ausgegraben“
Güzel berichtete, dass viele Menschen aus den Trümmern hätten gerettet werden können, wenn früher eingegriffen worden wäre: „Wenn man schon am zweiten Tag eingegriffen hätte, hätten wir sie bestimmt gerettet. Ich habe sehr gelitten. Wir haben die Leichen mit unseren Händen aus den Trümmern gezogen. Das werde ich nie vergessen. Hier liegt grobe Vernachlässigung vor. Der Körper meines Bruders wies keine Wunden auf, er war einfach nur gefroren. Als wir ihn aus den Trümmern zogen, hatte er seine Zigarette noch zwischen den Fingern. Ich habe sieben Verwandte verloren, die alle erfroren sind.“
Nach drei Tagen aus den Trümmern befreit
Hanife Güzel wurde am dritten Tag aus den Trümmern befreit. Sie berichtete: „Ich ging nach oben, um ein paar Sachen zu holen, aber dann kam das Erdbeben. Ab diesem Zeitpunkt war ich unter den Trümmern verschüttet, aus denen man mich nach drei Tagen herausholte. Ich war blutüberströmt, als sie mich herauszogen. Ich blieb ein paar Tage im Krankenhaus und kam dann hierher. Wenn zwei oder drei Tage nach dem Erdbeben eingegriffen worden wäre, hätten mein Mann und andere gerettet werden können.“
Elif Güzel, die ihren Vater verloren hat, sagte: „Wir saßen im Erdgeschoss des Hauses. Dann kam das Erdbeben und wir lagen plötzlich unter den Trümmern. Sie haben uns herausgezogen. Hätte man frühzeitig eingegriffen, wären alle gerettet worden, denn der Beton war nicht dick und der Ort, wo mein Vater sich befand, war bekannt. Wir haben meine Mutter nach drei Tagen befreit. Am zweiten Tag hörten die Rufe meiner Mutter auf, aber wir haben sie schließlich gerettet.“
Fünf nahe Angehörige verloren
Selma Çiçek hat ihre Tochter, ihren Schwiegersohn und drei Enkelkinder verloren. Weinend schilderte sie das Geschehen: „Die Straßen waren gesperrt, wir konnten nicht zu Hilfe kommen, um sie zu retten. Ich habe dort fünf meiner Angehörigen verloren. Dieser Schmerz wird nicht vergehen.“ In einem kleinen Zelt nimmt die Familie Beileidskundgebungen entgegen.