UN-Bericht: Erstmals autonomer Drohnenangriff auf Menschen
Laut einem UN-Expertengremium soll ein Kargu-2-Quadcopter des türkischen Rüstungskonzerns STM in Libyen einen flüchtenden Soldaten angegriffen haben – ohne menschlichen Befehl.
Laut einem UN-Expertengremium soll ein Kargu-2-Quadcopter des türkischen Rüstungskonzerns STM in Libyen einen flüchtenden Soldaten angegriffen haben – ohne menschlichen Befehl.
Eine türkische Drohne soll laut einem Bericht der Vereinten Nationen (UN) im vergangenen Jahr möglicherweise zum ersten Mal autonom einen Menschen angegriffen haben. Die vollständigen Details des Vorfalls seien aber noch nicht veröffentlicht worden, heißt es in dem Bericht des Expertenausschusses für Libyen des UN-Sicherheitsrats, auf den der New Scientist aufmerksam machte. Konkret soll eine Kamikazedrohne vom Typ Kargu-2 des Herstellers STM bei einem Gefecht zwischen Truppen der international anerkannten Regierung Libyens und einer Militärfraktion von Khalifa Haftar im März 2020 ohne menschlichen Befehl einen Soldaten attackiert haben, der sich auf der Flucht befand.
Die Kargu-2-Quadcopter sind laut Angaben des türkischen Herstellers für die „asymmetrische Kriegsführung oder Anti-Terror-Einsätze” konzipiert. Sie können mit unterschiedlicher Munition ausgerüstet werden, die beim Aufprall beziehungsweise beim Kontakt mit dem Ziel detoniert. Ausgestattet mit „in Echtzeit arbeitenden Bildverarbeitungsfähigkeiten und maschinellen Lernalgorithmen“, sollen sie es Soldaten ermöglichen, „Bedrohungen in einer Region aufzuspüren und zu eliminieren“. Es handelt sich also um ein Waffensystem, das über einem umgrenzten Gebiet auf potentielle Ziele wartet, diese dann mit Kameras und künstlicher Intelligenz identifiziert und sich darauf stürzt – wenn ein Mensch das autorisiert.
Die Kamikazedrohnen in Libyen sollen allerdings so programmiert gewesen sein, dass sie bei fehlender Datenverbindung zum Betreiber auf die Zustimmung des Operateurs verzichten und die Attacken auf das Ziel stattdessen autonom einleiten. Genau das sei geschehen, heißt es in dem Bericht des UN-Expertengremiums. Ob der Kargu-2-Quadcopter das Opfer auch tatsächlich getötet hat, sei unklar.
Bundesregierung gegen Ächtung von autonomen Waffensystemen
Dies sei wahrscheinlich das erste Mal, dass Drohnen Menschen ohne Anweisung angegriffen hätten, wird Zak Kellenborn, ein auf unbemannte Systeme und Drohnen spezialisierter Sicherheitsberater von New Scientist zitiert. Beim Einsatz solcher autonomer Drohnen stelle sich aber die Frage, wie anfällig das Objekterkennungssystem sei und wie oft Ziele falsch identifiziert werden, so Kellenborn. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW), aber auch Expert:innen für künstliche Intelligenz, fordern bereits seit längerem ein vollständiges Verbot von autonomen Waffen. 30 Staaten haben sich mittlerweile für einen solchen Schritt ausgesprochen, Deutschland aber nicht. Anfang 2020 scheiterten im Bundestag mehrere Anträge von Grünen und Linken unter anderem für eine internationale Ächtung von autonomen Waffensystemen an den Stimmen der anderen Fraktionen.
Türkische Kamikazedrohnen in Kurdistan seit Jahren bekannt
In Kurdistan und Nord- und Ostsyrien wurden die auch als „Selbstmord-Drohnen“ bekannten Kargu-2-Quadcopter schon öfter gesichtet. Im Dezember war eine davon in Kobanê sogar abgestürzt. Die Killerdrohne hatte sich auf einem Angriffsflug befunden und einen Totalschaden erlitten. Personen- oder Drittschäden waren nicht zu beklagen.
Im Juni vergangenen Jahres allerdings waren in Kobanê drei Aktivistinnen des kurdischen Frauendachverbands Kongreya Star bei einer gezielten Bombardierung mittels Killerdrohne ums Leben gekommen. Bei den Opfern handelte es sich um Zehra Berkel, Hebûn Mele Xelîl und Amina Waysî. Sicherheitsexpert:innen der Autonomieverwaltung gingen davon aus, dass es sich bei der Drohne um einen Kargu-2-Quadcopter handelte.