Kanada widerruft Exportgenehmigungen für die Türkei

Wegen des Einsatzes kanadischer Technik im aserbaidschanischen Angriffskrieg gegen die armenische Republik Arzach hat Kanada die Exportgenehmigungen für Drohnentechnologie an die Türkei widerrufen.

Die Regierung Kanadas hat Exportgenehmigungen für Drohnentechnologie an die Türkei widerrufen. Eine Untersuchung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten habe „glaubwürdige Beweise“ dafür geliefert, dass kanadische Technik im aserbaidschanischen Angriffskrieg gegen die Republik Arzach (Bergkarabach) verwendet wurde, heißt es in einer Erklärung des Außenministers Marc Garneau von Montagabend. Der türkische Botschafter in Kanada ließ verlauten: „Wir erwarten von unseren Nato-Verbündeten, dass sie unkonstruktive Schritte vermeiden, die sich negativ auf unsere bilateralen Beziehungen auswirken und die Solidarität der Allianz untergraben.“

Bereits erteilte Genehmigungen endgültig widerrufen

Die Türkei als Mitgliedsland der Nato gilt traditionell als enge Verbündete von Aserbaidschan. Dessen Armee hatte im Sechswochenkrieg des vergangenen Herbstes weite Teile der überwiegend armenisch bewohnten Kaukasusrepublik Arzach erobert. Unmittelbar nach Beginn der Angriffe gab es bereits erste Hinweise auf Einsätze von türkischen Überwachungs- und Killerdrohnen mit Sensortechnologie aus Kanada. Daraufhin verhängte die Regierung in Ottawa einen Exportstopp gegen die Türkei und wies das Ressort für Auswärtiges an, die Vorwürfe zu untersuchen. Ankara reagierte empört und warf Kanada vor, sich nicht an den „Geist des NATO-Bündnisses“ zu halten. Nun hat das Land beschlossen, die bereits erteilten Genehmigungen endgültig zu widerrufen.

Verstoß gegen Endverbleibserklärung

„Diese Verwendung [kanadischer Technik] war weder mit der kanadischen Außenpolitik noch mit den Endverbleibserklärungen der Türkei vereinbar“, geht aus der Mitteilung von Garneau weiter hervor. Mit einer Endverbleibserklärung soll sich der Empfängerstaat von Waffenlieferungen verpflichten, gelieferte Waffen nicht weiterzugeben. Kanadas Bedenken über den Verstoß der Türkei habe Garneau bei seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu früher am Tag vorgebracht. Bei dem Gespräch sei ein „Dialogmechanismus” zwischen den Behörden beider Länder vorgeschlagen worden, „um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen”, so Garneau. Çavuşoğlu bat Kanadas Außenminister, die Entscheidung über den Widerruf von Exportgenehmigungen zu  überdenken.

Sensortechnik von L3Harris WESCAM in türkischen Killerdrohnen

Bei der kanadischen Technologie in türkischen Killerdrohnen geht es um elektrooptische/infrarote Kamerasysteme mit Sensortechnik von L3Harris WESCAM, der kanadischen Tochtergesellschaft des US-Rüstungsriesen L3Harris. Der Konzern ist einer der weltweit führenden Hersteller und Exporteure von Elektro-Optik- und Infrarotkameras, der wichtigsten technologischen Ausstattung von bewaffneten und unbewaffneten Drohnen, mit einem jährlichen Exportvolumen von mehr als 330 Millionen Euro. Die Türkei gehört seit 2017 zu den Hauptabnehmern von elektrooptischen Kamerasystemen der kanadischen L3Harris WESCAM. Die türkischen Rüstungskonzerne Baykar und TAI, die Drohnen für das Erdogan-Regime herstellen, benutzen sie zur Aufklärung, Überwachung und Zielerfassung. Diese Kameraelemente senden synchronisierte Aufnahmen an den Autopilot der Drohne und gewährleisten eine automatische Verfolgung des von der Kamera anvisierten Ziels. Konzernchef von Baykar ist Erdogans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar. Seine Drohne „Bayraktar TB2“ ist auch mit deutscher Technologie ausgerüstet.

NGO: Kanada verstößt gegen UN-Waffenhandelsabkommen

Nur eine Woche vor Beginn des türkisch-aserbaidschanischen Krieges gegen Arzach hatte die kanadische Friedensinitiative „Project Ploughshares“ Ottawa vorgworfen, mit Ausfuhrgenehmigungen von taktischen Überwachungssystemen für die Türkei gegen das internationale Waffenhandelsabkommen ATT zu verstoßen. Der Export von technologischer Ausstattung für türkische Killerdrohnen stehe in direktem Widerspruch zu den in Kanada geltenden innerstaatlichen Gesetzen und sonstigen waffenrechtlichen Vorschriften sowie internationalen Verpflichtungen. Außerdem stelle der Verkauf ein erhebliches Risiko dar, menschliches Leid, einschließlich Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, in den Konfliktzonen des Nahen Ostens und Libyens zu erleichtern, hieß es in einem Bericht. Darin ging es ebenfalls um Technik von L3Harris WESCAM. Deren Systeme spielten laut der Organisation bereits bei türkischen Drohnenangriffen in Nordkurdistan im Winter 2015/2016 eine Rolle - und zwar im Zuge der Militärbelagerung kurdischer Städte wie Cizîr (tr. Cizre), Şirnex (Şırnak), Nisêbîn (Nusaybin) oder Sûr. Auch bei den Angriffskriegen in Efrîn Anfang 2018 und in Serêkaniyê (Ras al-Ain) sowie Girê Spî (Tall Abyad) im Herbst 2019 seien taktische Überwachungssysteme aus kanadischer Produktion im Dauereinsatz für die Türkei gewesen, so Project Ploughshares. Darüber hinaus exportierte Ankara mit WESCAM-Sensoren ausgerüstete Drohnen an bewaffnete Gruppen in Libyen.