In der „neuen“ Türkei, als deren Architekt sich Erdoğan rühmt, setzt die Führung des Landes auf Militärgerät aus eigener Herstellung. Doch so heimisch ist die Rüstungsindustrie dann doch nicht. Wichtige Teile türkischer Waffen stammen weiterhin aus deutscher Produktion. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor. Die Grünen-Fraktion befragte die Bundesregierung nach dem Export von Gefechtsköpfen für Raketen, die an Kampfdrohnen angebracht werden. Insbesondere ging es um Gefechtsköpfe für die Panzerlangstreckenabwehrraketen (LRAT) und Panzermittelstreckenraketen (MRAT), die beide von der türkischen Firma Roketsan hergestellt werden. Nach Auskunft der Bundesregierung wurden im Jahr 2014 Ausfuhrgenehmigungen für zehn Bausätze für die Gefechtsköpfe von LRAT-Raketen erteilt.
Von Drohnen abgeschossene Lenkflugkörper sind für viele türkische Kriegsverbrechen verantwortlich – vor allem in Westkurdistan/Nordsyrien und Südkurdistan/Nordirak. Ende Juni erst wurden zuerst in Kobanê die drei Frauenaktivistinnen Zehra Berkel, Hebûn Mele Xelîl und Amina Waysî Opfer einer extralegalen Hinrichtung durch eine türkische Kampfdrohne. In Kuna Masî bei Silêmanî starben wenig später zwei Menschen, weitere acht Personen wurden teils schwer verletzt. Bei einem der Toten handelt es sich um ein Mitglied der ostkurdischen Partei PJAK.
Mehrere Ausfuhrgenehmigungen für Gefechtsköpfe in die Türkei
Allein im Jahr 2014 wurden Ausfuhrgenehmigungen für zehn Bausätze für die Gefechtsköpfe von Panzerlangstreckenabwehrraketen erteilt. Nach dem einschlägigen Kriegswaffenbuch wurden seit 2010 insgesamt zehn Gefechtsköpfe an die Firma Roketsan ausgeführt. 2010, 2011, 2012 und 2018 wurden Ausfuhrgenehmigungen für die Technologie zur Herstellung von LRAT-Gefechtsköpfen von der Bundesregierung bewilligt. In den Jahren 2013 und 2018 wurde der Verkauf von Technologie zur Herstellung von Gefechtsköpfen für Mittelstreckenantipanzerraketen genehmigt. Roketsan ist ein in Ankara beheimateter Hersteller für raketengetriebene Waffensysteme. Das Unternehmen wurde Ende der 80er Jahre durch das Staatssekretariat für Rüstungsindustrie gegründet. Die meisten Anteile hält die Stiftung der türkischen Streitkräfte (TSKGV).
Bundesregierung fördert Eigenproduktion der Türkei
Alle erteilten Genehmigungen beziehen sich nach Angaben der Bundesregierung ausschließlich auf die Lieferung von Bauteilen, Gefechtsköpfen und Technologie für die Entwicklung und Herstellung von Tandem-Gefechtsköpfen von Panzerabwehrlenkwaffen LRAT und MRAT. Diese Gefechtsköpfe sind speziell dafür geeignet, an bewaffneten Drohnen angehängt zu werden und Fahrzeuge mit Ablativpanzerung zu zerstören. Die Bundesregierung behauptet, keine Kenntnis darüber zu haben, ob die Türkei die Waffen selbst zusammenbauen könne. Diese schwammige Äußerung lässt zumindest die Möglichkeit durchblicken, dass deutsche Ingenieure die Kriegswaffen in der Türkei montieren.
Waffen für neoosmanischen Expansionismus
Neben den völkerrechtswidrigen Angriffskriegen der Türkei in Nordsyrien und Südkurdistan spielen auch die Waffenlieferungen an die islamistische libysche Muslimbruderregierung in Tripolis eine wichtige Rolle in der Frage nach dem Verbleib und dem Einsatzfeld aus Deutschland exportierter Gefechtsköpfe für verschiedene Raketentypen. Obwohl Libyen unter einem Waffenembargo steht, liefert die Türkei große Mengen an Waffen und Militärmaterial nach Libyen und verlegt Söldner sowie eigene Truppenkontingente in das nordafrikanische Bürgerkriegsland.
Die Bundesregierung lieferte die Gefechtsköpfe unter der Einschränkung einer Endverbleibserklärung an die Türkei. Das bedeutet, Ankara verpflichtet sich, diese Waffen nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung an Dritte weiterzugeben. Die naheliegende Frage, ob die Bundesregierung solche Genehmigungen zum Beispiel für den Export nach Libyen erteilt hat, beantwortet das Wirtschaftsministerium nicht, sondern weist darauf hin, dass es zu keiner Antwort verpflichtet sei. Auf diese Weise umgeht die Bundesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit: Waffen werden unter einer Endverbleibserklärung geliefert, die von der Bundesregierung im Hinterzimmer wieder aufgehoben werden kann.
Nicht nur Islamisten in Libyen stehen ganz oben auf der Liste der Adressaten türkischer Waffenlieferungen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch Kriegsgerät aus Deutschland beinhalten. Die Türkei rüstet Aserbeidschan im Konflikt mit Armenien hoch und exportiert mit Waffen ausgestattete Drohnen nach Tunesien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Malaysia, Katar und Turkmenistan.