Studierende: „Nicht genug zum Leben“

In verschiedenen Städten in der Türkei kommt es zu Protesten von Studierenden gegen Obdachlosigkeit und mangelnde finanzielle Unterstützung.

In den Universitätsstudenten in Izmir, Ankara, Dîlok (tr. Antep), Istanbul und an vielen weiteren Orten in der Türkei und Nordkurdistan protestieren Studierende für das Recht auf Wohnen. Die Studierenden versammeln sich in den Parks der Städte und führen Tag und Nacht Protestmahnwachen durch.

Im ANF-Gespräch haben sich die vier Studierenden Zeynep, Bahar, Rojhat und Firat zu den Protesten und ihrer Situation geäußert.

Katastrophale Situation in Wohnheimen

Zeynep bekommt ein Stipendium in der Höhe von 650 Lira (umgerechnet etwa 65 Euro) monatlich vom Staat und muss davon 480 Lira an das Studentenwohnheim abtreten. „Wir zahlen bereits weit mehr als die Hälfte des Stipendiums an das Wohnheim, aber es ist nicht nur das“, erklärt sie. „Wir können nicht einmal im Heim essen, weil das Essen nicht genießbar ist. Viele Dinge gehen einfach nicht im Heim, so gibt es viele Probleme mit der Beleuchtung etc. Dann bleibt noch die Frage, wie ich mit dem wenigen Geld, das mir vom Stipendium bleibt, auswärts essen, mir ein Buch kaufen oder meine privaten Bedürfnisse abdecken soll. Außerdem herrscht folgende Situation. Normalerweise muss das Recht auf einen Platz im Wohnheim weiterbestehen, wenn man umziehen muss. Ich wechselte nach Istanbul, dadurch wurde mein Wohnrecht annulliert. Ich musste mich erneut bewerben und wurde auf eine Warteliste gesetzt. In der Zwischenzeit musste ich zwei Wochen selbst schauen, wo ich bleibe. Ich musste 800 Lira die Woche für einen winzigen Raum in einem privaten Wohnheim zahlen. Es war eine große finanzielle Herausforderung für mich und ich konnte deshalb erst mit zwei Wochen Verspätung mit der Uni anfangen.“

Zu den Protestaktionen sagt Zeynep: „Ich denke, es gibt starken Widerstand bei den Studierenden. Was wir wollen, ist nicht nur ein Dach über dem Kopf, wir wollen alle vollumfänglich unser Recht auf Bildung wahrnehmen können. Wir bitten nicht, wir fordern unsere Rechte. Wenn der Widerstand wächst, glaube ich, werden wir unsere Rechte bekommen.“

Staat zwingt Schüler:innen und Studierende zu religiösen Orden

Bahar lebt, seit sie zehn Jahre alt ist, in staatlichen Heimen. Sie kommt aus der nordkurdischen Stadt Mûş und wurde dort in einem Internat untergebracht. Sie erzählt: „Als Kinder im Internat war für uns alles beschränkt. Wir konnten nur selten unsere Familien sehen. Da es kein Fahrzeug gab, das zu unseren Dörfern fuhr, blieben wir monatelang in diesen kalten Heimen. Wir sind also in einem militärischen System aufgewachsen. Ich habe im Alter von 15 oder 16 Jahren ein Stipendium für eine Privatschule gewonnen. Aber es gab kein Wohnheim. Der einzige Unterbringungsort, den meine Familie für mich in dieser Gegend finden konnte, war das Heim einer religiösen Stiftung. Meine Eltern sind Bauern, daher konnten sie kein Geld sparen. Für 200 Lira kann man also nur dort leben. Es gibt so viele Beispiele! Es geht nicht nur um die Probleme der Studierenden. Die Regierung verurteilte mich in diesem Alter dazu, in einem solchen Heim zu leben. Als ich zum Beispiel Weltklassiker lesen wollte, war das dort nicht erlaubt. Daher denke ich, dass das Problem der Unterbringung von Studierenden in Wohnheimen ganzheitlich betrachtet werden sollte. Ja, wir finden Unterschlupf, aber dann zwingen dich die Bedingungen an solche Orte. Der Staat drängt einen regelrecht dort hin. Solche Heime werden bereits an vielen Orten in Mûş, Wan und Amed errichtet. Viele Menschen sind verurteilt, dort zu leben, weil ihre wirtschaftliche Situation nichts anderes zulässt.“

Zwei Wochen ohne Unterbringung“

Bahar fügt an: „Wir kamen auf die Universität und uns wurde ein Wohnheim zugewiesen. Aber wie? Ich war zwei Wochen draußen. Ich kannte hier niemanden. Ich fand einen entfernten Bekannten der Schwiegermutter meines Onkels, dort bin ich dann hingegangen. Ich war noch nie in meinem Leben so beschämt. Die Leute schauten mich so an. Wenn ich doch hätte weggehen können … Ich habe Träume und bin für eine Berufsausbildung auf diesen Weg aufgebrochen. Weil ich aus einer feudal geprägten Region komme und die patriarchale Denkweise dort vom Staat genährt wird, musste ich als Frau alle möglichen Hindernisse überwinden. Macht studieren in diesem Land frei? Nein, wir werden zu Maschinen gemacht. Dies ist aber ein anderes Thema. Aber ich habe als Frau keine Wahl.“

Religiöse Indoktrination in den Heimen

Als Bahar am Ende der zwei Wochen einen Heimplatz fand, für den sie 340 Lira zu zahlen hatte, hörten die Probleme nicht auf: „Ich bekam einen Platz in einem Wohnheim, aber meine Universität war in Beykoz, mein Wohnheim jedoch in Zeytinburnu. Ich brauche Stunden, um überhaupt zur Uni zu kommen. Ich beantragte einen Umzug, aber das wurde immer wieder verzögert. Kurz gesagt, das ist das Unterbringungsproblem, das wir haben. Es geht nicht nur darum, ein Dach über dem Kopf zu bekommen, es geht auch um die Bedingungen dort. So ist es in staatlichen Heimen nicht so sichtbar, aber dort findet unter dem Vorwand bestimmter Kurse eine religiöse Indoktrination statt. Während meine Mutter zum Beispiel nicht hineinkommen und sehen darf, wie ihre Tochter lebt, können männliche Studenten aus einem anderen Wohnheimen kommen und religiöse Propaganda machen.

Wenn die Aktionen sich verbreitern, werden sie Erfolg haben“

Es wird versucht, uns durch die Verweigerung unserer grundlegendsten Rechte zu zähmen. Deswegen nehmen wir an diesen Aktionen nicht als Unterstützer:innen, sondern als betroffene Subjekte teil. Ich denke, wenn die Aktionen gesellschaftliche Verbreitung finden, werden sie erfolgreich sein. Es sollte nicht bei einem Ort bleiben, sie müssen sich auf die gesamte Gesellschaft ausbreiten, nicht nur bei den Studierenden, denn es sind die Kinder dieser Gesellschaft, die unter diesem Problem leiden.“

Bruchbuden für Studierende

Firat sagt, er habe seit drei Monaten mit einem Freund nach einer Bleibe gesucht. Er berichtet, dass die Hausbesitzer Wucherpreise für schlechte Unterkünfte von Studierenden verlangen: „Die Häuser, die Studierenden angeboten werden, sind immer Bruchbuden. Entweder befinden sie sich im Keller, in den untersten Etagen oder sind feucht. Aktuell wird viel von einer Preiserhöhung gesprochen. Früher waren die Preise für Wohnungen für Studierende doppelt so hoch wie für andere Wohnungssuchende. Heute haben sie das Vierfache erreicht. Vor allem an männliche Studenten wollen viele Vermieter nicht vermieten. Ich denke, die Immobilienmakler und Vermieter sollten in Bezug auf die unkontrollierten Mieterhöhungen beaufsichtigt werden.“

Weil mein Name kurdisch ist, bekomme ich keine Wohnung“

Als Rojhat auf die Universität kam, musste er sich zuerst eine Bleibe suchen. Er befand sich nämlich auf Platz 20.000 der Warteliste für Heimplätze. Er berichtet über seine Suche: „Ich wurde oft abgewiesen, weil ich Kurde bin. Die Vermieter nutzten eine Vielzahl von Ausreden, aber es war nicht so schwer zu verstehen, was sie eigentlich meinten. Viele Studenten haben Wohnungsprobleme. Wir sagen: ‚Wir haben keine Wohnung, weil wir kein Auskommen haben.‘ Wir haben kein Geld zum Leben. Mit den 650 Lira, die dem Staat angemessen für uns erscheinen, müssen wir neben dem Studium arbeiten. Der Staat verurteilt uns dazu. Die Menschen können sich nicht organisieren, weil sie Angst um ihr Auskommen haben. So entwickelt sich die Gesellschaft zu einer Gesellschaft ohne Organisierung und Bewusstsein.“