Sebahat Tuncel wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt

Die kurdische Politikerin Sebahat Tuncel ist in der Türkei wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt worden. Sie soll Tayyip Erdogan vor vier Jahren als „Frauen- und Kurdenfeind“ bezeichnet haben.

Die Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakir (kurd. Amed) klagt die seit knapp vier Jahren inhaftierte kurdische Politikerin Sebahat Tuncel wegen Präsidentenbeleidigung an. Laut Anklageschrift soll Tuncel im Oktober 2016 – kurz vor ihrer eigenen Verhaftung – auf einer Protestaktion gegen die Festnahme der damaligen Ko-Bürgermeister*innen von Amed, Gültan Kişanak und Firat Anli, den Präsidenten der Republik Türkei als „Frauen- und Kurdenfeind“ bezeichnet haben. Diese Aussage wird von der Staatsanwaltschaft als Beleidigung gewertet und soll mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und vier Jahren geahndet werden.

Sebahat Tuncel erklärte dazu, dass mit der juristischen Verfolgung einer derartigen Aussage die Meinungs-, Ausdrucks- und Politikfreiheit beschnitten wird. Sie selbst könne keinen Straftatbestand in ihrer damaligen Erklärung erkennen.

Präsidentenbeleidigung ist ein gängiger Vorwurf in der Türkei. Die jüngsten prominenten Beispiel für Anklagen nach dem Paragrafen sind der Welt-Journalist Deniz Yücel, der Kölner Turgut Öker und die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancıoğlu.

Wer ist Sebahat Tuncel?

Die Politikerin, Feministin und ehemalige Krankenschwester Sebahat Tuncel wurde im Jahr 2006 aufgrund des Verdachts der PKK-Mitgliedschaft angeklagt und inhaftiert. Ein Jahr zuvor gründete sie mit anderen kurdischen Politikerinnen und Politikern die Partei der demokratischen Gesellschaft (Demokratik Toplum Partisi, DTP), die sich für die nationale Anerkennung der Kurden und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einsetzte. Die Partei wurde am 11. Dezember 2009 durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten.

Für die Parlamentswahlen 2007 kandidierte die 44-Jährige als unabhängige Kandidatin für die Provinz Istanbul und gewann mit 93.000 Stimmen im dritten Wahlbezirk. Daraufhin wurde sie am 25. Juli 2007 aus der Haft entlassen. Tuncel ist damit die erste Abgeordnete, die aus dem Gefängnis heraus eine Wahl gewann.

Nach dem Verbot der DTP trat Tuncel der Partei des Friedens und der Demokratie (Barış ve Demokrasi Partisi, BDP) bei. Für die Parlamentswahlen im Juni 2011 stellte sie sich als unabhängige Kandidatin wieder für Istanbul auf und wurde wiedergewählt. 2014 wurde die BDP auf dem dritten Parteikongress umbenannt. So entstand die heutige Partei der demokratischen Regionen (Demokratik Bölgeler Partisi, DBP), deren Ko-Vorsitzende Sebahat Tuncel war. Anders als zuvor die BDP konzentriert sich die DBP auf ein Engagement auf lokaler Ebene. Die Teilnahme an nationalen Parlamentswahlen übernimmt als Schwesterpartei die HDP. Das erklärte Ziel der DBP ist die Vertretung der Interessen der kurdischen Bevölkerung und eine Dezentralisierung der Türkei.

Sebahat Tuncel wurde im Herbst 2016 erneut verhaftet und im Februar 2019 gemeinsam mit Gültan Kişanak wegen Terrorismusvorwürfen zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Revisionsgericht hat das Urteil wegen Formfehlern aufgehoben. Seit Mitte Januar läuft das wieder aufgerollte Verfahren in Meletî (Malatya).