Ein Gericht in Ankara hat Haftbefehl gegen den kurdischen Buchautoren Nezir Çakan erlassen. Der Vorsitzende des kurdischen Schriftstellerverbands „Komeleya Wêjekarên Kurd” war letzten Donnerstag in seiner Wohnung im Kreis Erxenî (türk. Ergani) bei Amed (Diyarbakir) festgenommen und nach Ankara überführt worden. Ihm wird eine Beteiligung an den Kobanê-Protesten im Herbst 2014 vorgeworfen.
Begründet wurde der von der 5. Strafabteilung des Amtsgerichts Ankara ausgestellte Haftbefehl gegen Çakan mit Fluchtgefahr, die durch Meldeauflagen nicht verhindert werden könne. Er wurde bereits an das Hochsicherheitsgefängnis Sincan überstellt. Vom Verband „Komeleya Wêjekarên Kurd” wurde die Entscheidung des Gerichts scharf kritisiert. „Die Verhaftung von Nezir Çakan stellt einen Eingriff in die Gedankenfreiheit dar, der gegen grundlegendes Recht verstößt.” Der Verein fordert die sofortige Freilassung des Schriftstellers, der unter anderem Mitglied des kurdischen P.E.N.-Zentrums ist, das zur internationalen Schriftstellervereinigung P.E.N. gehört.
Die von der Generalstaatsanwaltschaft Ankara geführten „Kobanê-Ermittlungen“ beziehen sich auf die Proteste in Nordkurdistan und der Türkei während des IS-Angriffs auf die Stadt Kobanê. Im Rahmen dieses Verfahrens sind seit Anfang Oktober bereits mehr als zwanzig Aktivist*innen sowie Politikerinnen und Politiker, darunter hochrangige Vertreter*innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und ihrer Schwesterpartei DBP (Partei der demokratischen Regionen), verhaftet worden.
Hintergrund der Kobanê-Proteste
Am Abend des 6. Oktober 2014 war es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach 21 Tagen Widerstand der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Zentrum der westkurdischen Stadt einzudringen. Angesichts der kritischen Situation hatte die HDP die Öffentlichkeit zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung aufgerufen, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften sowie paramilitärischen Verbänden wie Dorfschützern und Anhängern der radikalislamistischen türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) und den Demonstranten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 (IHD) und 53. Die Regierung spricht lediglich von 37 Toten. Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen.