Regionales Berufsgericht bestätigt Urteil gegen Fincancı

Ein türkisches Berufungsgericht hat die Verurteilung der Präsidentin der türkischen Ärztekammer, Şebnem Korur Fincancı, wegen „Terrorpropaganda“ in erster Instanz bestätigt. Der Fall geht nun in die nächste Instanz.

Ein regionales Berufungsgericht hat die Verurteilung der Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB) Şebnem Korur Fincancı wegen „Terrorpropaganda“ in erster Instanz bestätigt. Das Urteil über zwei Jahre und rund achteinhalb Monate Gefängnis sei rechtens gewesen, so die Istanbuler Kammer. Rechtskräftig ist die Entscheidung damit aber noch nicht. Der Fall geht nach Angaben von Fincancıs Verteidigerin Meriç Eyüboğlu juristisch in die nächste Instanz – das wäre der Kassationshof als oberstes Berufungsgericht der Türkei. „Es handelt sich um ein politisches Verfahren. Und das kann nur festgestellt werden, wenn es unabhängige Richter gibt, die sich das zutrauen“, sagte Eyüboğlu der Internetzeitung Evrensel.

Şebnem Korur Fincancı war im Oktober 2022 verhaftet worden, weil sie sich in einem Fernsehinterview mit dem kurdischen Sender Medya Haber für eine unabhängige Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen durch die türkische Armee in Kurdistan aussprach. Anfang vergangenen Jahres wurde die international renommierte Forensikerin und Anti-Folter-Expertin in einem für türkische Verhältnisse ungewöhnlich schnellen Verfahren wegen vermeintlicher Werbung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verurteilt. Gleichzeitig wurde der Haftbefehl gegen Fincancı aufgehoben.

Anklage forderte bis zu siebeneinhalb Jahre Gefängnis

In dem Interview mit Medya Haber hatte die TTB-Präsidentin zudem erklärt, sie habe sich Aufnahmen von Opfern eines mutmaßlichen Chemiewaffenangriffs angesehen. Deren Symptome deuteten offensichtlich darauf hin, dass die Personen – es handelte sich um zwei Guerillakämpfer:innen – einer toxisch wirkenden, gasförmigen Substanz ausgesetzt wurden. Die Vorwürfe, dass es sich dabei um Giftgas gehandelt haben könnte, müssten daher entsprechend internationalen Standards geprüft werden. Fincancı kritisierte in der Sendung damals auch, dass einer Delegation der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW der Zugang in die von türkischen Chemiewaffeneinsätzen betroffenen Regionen in Südkurdistan (Kurdistan-Region des Irak) verweigert wurde. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft warf ihr deshalb „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor und forderte bis zu siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe.

TTB für Regierung seit Langem unbequem

Der TTB und dessen Zentralrat stehen spätestens seit 2015, als die Erdoğan-Regierung den Dialogprozess mit der PKK und ihrem Begründer Abdullah Öcalan einseitig beendete und wieder überging zum totalen Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden, Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Schikanen, politisch motivierten Verfahren, Bürodurchsuchungen, Drohungen und Inhaftierungen – auf der Grundlage der übermäßig weit gefassten Antiterrorgesetze der Türkei. So waren im Mai 2019 alle elf Mitglieder des damaligen Zentralrates zu Haftstrafen wegen „Anstachelung zum Hass und zur Feindschaft“ verurteilt worden. Sie hatten den Zorn von Erdoğan auf sich gezogen, weil sie die türkische Invasion 2018 in der damals noch nach dem Kantonsprinzip von Rojava selbstverwalteten und inzwischen besetzten Region Efrîn in Nordsyrien kritisiert und in einer Erklärung den Krieg als „Problem der öffentlichen Gesundheit“ bezeichnet hatten.

Zentralrat des Amtes enthoben

Vergangenen November hatte ein Zivilgericht in der Hauptstadt Ankaralle alle elf gewählten Mitglieder des Zentralrates des TTB ihrer Ämter enthoben. Ihnen wird ebenfalls vorgeworfen, „terroristische Propaganda“ betrieben und damit gegen das Gesetz Nr. 6023 über die Zuständigkeiten und Aufgaben des TBB verstoßen zu haben. Kritische Stimmen und Opposition sehen die Anschuldigungen als politisch motiviert. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) und dessen rechtsextremer Koalitionspartner Devlet Bahçeli (MHP) hetzen seit langem wieder gegen den TTB und streben sogar ein Gesetz an, das die Unabhängigkeit und Autonomie des Verbands abschaffen soll. Unter den abgesetzten Vorstandsmitgliedern des Ärztebundes befindet sich auch die Verbandspräsidentin Şebnem Korur Fincancı.