Bundesärztekammer verurteilt Amtsenthebung von TTB-Vorstand

Die Bundesärztekammer ist empört über die Absetzung des Vorstands des Türkischen Ärztebundes. Mit dem Gerichtsurteil und der damit verbundenen Amtsenthebung sei eine neue Qualität in der Aushebelung der freien Ärzteschaft in der Türkei erreicht.

Die Bundesärztekammer (BÄK) ist empört über die Absetzung des Vorstands des Türkischen Ärztebundes (TTB). „Der Umgang mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Türkei ist schockierend, beschämend und inakzeptabel“, kritisierte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt in einer Mitteilung am Samstag die Entscheidung der türkischen Justiz und warf ihr einen Angriff auf die Integrität der organisierten türkischen Ärzteschaft vor. Mit dem Gerichtsurteil und der damit verbundenen Amtsenthebung sei eine neue Qualität in der Aushebelung der freien Ärzteschaft in der Türkei erreicht.

Ein Zivilgericht in der Hauptstadt Ankara hatte am 30. November alle elf gewählten Mitglieder des Zentralrates des TTB ihrer Ämter enthoben. Ihnen wird vorgeworfen, „terroristische Propaganda“ betrieben und damit gegen das Gesetz Nr. 6023 über die Zuständigkeiten und Aufgaben des TBB verstoßen zu haben. Kritische Stimmen und Opposition sehen die Anschuldigungen als politisch motiviert. Schon länger hetzen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) und dessen rechtsextremer Koalitionspartner Devlet Bahçeli (MHP) gegen den TTB und streben sogar ein Gesetz an, das die Unabhängigkeit und Autonomie des Verbands abschaffen soll.

Unter den abgesetzten Vorstandsmitgliedern des Ärztebundes befindet sich auch die Verbandspräsidentin Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı. Die international renommierte Forensikerin und Menschenrechtsaktivistin wurde vergangenen Januar wegen angeblicher Verbreitung terroristischer Propaganda zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Ihr wurde zur Last gelegt, eine unabhängige Untersuchung des Einsatzes chemischer Waffen durch die türkische Armee gegen die kurdische Guerilla gefordert zu haben. In der Folge sahen sich auch die übrigen Mitglieder des TTB-Zentralrates Gerichtsverfahren ausgesetzt, womit ihre Amtsenthebung abzusehen war.

Şebnem Korur Fincancı saß wegen dem Terrorverfahren von Oktober 2022 bis Januar 2023 in Untersuchungshaft © TTB

„Die deutsche Ärzteschaft steht an der Seite der türkischen Kolleginnen und Kollegen und den Mitgliedern des Zentralrates des Türkischen Ärztebundes, insbesondere dessen Präsidentin Dr. Korur Fincancı“, erklärte BÄK-Präsident Reinhardt. Er fordert ein sofortiges Ende der „Repressionen des türkischen Staates gegen Ärztinnen und Ärzte“. Auch zahlreiche internationale Ärzteorganisationen wie der Weltärztebund, der Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte, International Rehabilitation Council for Torture Victims oder die Physicians for Human Rights verurteilten die Entscheidung des Gerichts, den Zentralrat des TTB zu zerschlagen.

TTB für Regierung seit Langem unbequem

Der TTB steht spätestens seit 2015, als die Erdoğan-Regierung den Dialogprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihrem Begründer Abdullah Öcalan einseitig beendete und wieder überging zum totalen Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden, Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Schikanen, politisch motivierten Verfahren, Bürodurchsuchungen, Drohungen und Inhaftierungen – auf der Grundlage der übermäßig weit gefassten Antiterrorgesetze der Türkei. So waren im Mai 2019 alle elf Mitglieder des damaligen Zentralrates zu Haftstrafen wegen „Anstachelung zum Hass und zur Feindschaft“ verurteilt worden. Sie hatten den Zorn von Erdoğan auf sich gezogen, weil sie die türkische Invasion 2018 in der damals noch nach dem Kantonsprinzip von Rojava selbstverwalteten und inzwischen besetzten Region Efrîn in Nordsyrien kritisiert und in einer Erklärung den Krieg als „Problem der öffentlichen Gesundheit“ bezeichnet hatten.

Vorwurf: Geschönte Corona-Zahlen

„Nein zum Krieg, Frieden jetzt“, hieß es in dem Appell, in dem vor „irreparablen Schäden“ gewarnt wurde. Erdoğan reagierte erbost und bezeichnete die Vorstandsmitglieder des TTB als „Terroristen-Liebhaber“. Sie seien „keine Intellektuellen, sondern eine Bande nicht denkender Sklaven“, das Wort „türkisch“ solle aus dem Namen des Verbands gestrichen werden. Auch als der TTB während der Pandemie dem türkischen Gesundheitsminister Fahrettin Koca vorwarf, er verschleiere systematisch das Ausmaß der Infektionen und melde der Öffentlichkeit und der Weltgesundheitsorganisation WHO geschönte Corona-Zahlen, bezeichnete Erdoğan die Vorsitzende Fincancı als „Terroristin“ und sprach von „unerträglichen Aktivitäten“ des Verbandes. 

Titelbild: Protest von TTB-Mitgliedern nach der jüngsten Gerichtsentscheidung © Evrensel