Der linke Rechtsanwalt Aytaç Ünsal ist erneut verhaftet worden. Wie die Kanzlei „Rechtsbüro des Volkes“ (HHB) meldet, wurde die Anfang September im Fall des 32-jährigen Juristen für einen Zeitraum von einem Jahr ausgestellte Haftunfähigkeitsbescheinigung widerrufen. Ünsal war am Mittwoch bei dem Versuch, das Land zu verlassen, in der westtürkischen Stadt Edirne festgenommen worden. Ein vom Anwaltsbüro HHB veröffentlichtes Foto zeigt ihn mit einem Bluterguss im Augenbereich, sowie Kratzern auf Nase und Stirn. Offenbar wurde der Jurist misshandelt.
Die Überstellung durch die Polizei an das Typ-F-Gefängnis in Edirne fand am Donnerstagabend ohne richterlichen Beschluss statt. HHB bezeichnet die Maßnahme als offensichtliches Beispiel für eine willkürliche Gesinnungsjustiz. Regierungstreue Pool-Medien hatten gestern im Zusammenhang mit der Festnahme Ünsals von einer „erfolgreichen Operation“ gegen das „Anwaltsnetzwerk von Terroristen“ gesprochen und dabei auf eine diffamierende Erklärung des türkischen Innenministeriums verwiesen. Dies sei ein klares Zeichen dafür, dass die Verhaftung des Anwalts nicht auf einer juristischen Grundlage, sondern auf Anweisung der Regierung erfolgte, kritisiert das HHB-Büro.
Aytaç Ünsal saß bereits mehrmals im Gefängnis. Im Februar dieses Jahres trat er gemeinsam mit weiteren inhaftierten Anwältinnen und Anwälten für ein faires Verfahren in den Hungerstreik, nachdem sie aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Am 5. April – dem „Tag des Anwalts” – wandelte er die Aktion gemeinsam mit Ebru Timtik, die Ende August an den Folgen eines 238-tägigen Nahrungsentzugs in Istanbul verstarb, in ein „Todesfasten“ um. Ünsal beendete seinen Hungerstreik am 4. September, einen Tag nach der Haftentlassung, und begab sich in ärztliche Behandlung. Nach Angaben seiner Angehörigen hat er sich noch immer nicht von den Folgen des monatelangen Hungerstreiks erholt.