Razzia bei Aytaç Ünsal: „Widerstandshaus” in Sarıyer gestürmt

In Istanbul-Sarıyer sind zahlreiche Wohnungen und linke Objekte polizeilich gestürmt worden. Neben dem Cemhaus und einem Begegnungszentrum für Senioren wurde auch das „Widerstandshaus” durchsucht, in dem sich Aytaç Ünsal von seinem Hungerstreik erholt.

Im Istanbuler Stadtteil Sarıyer sind am Freitag knapp dreißig Wohnungen und linke Objekte im selbstorganisierten linken Kiez Küçük Armutlu von der Polizei durchsucht worden. Neben dem alevitischen Cemhaus und dem „Vefa Evi”, einem Begegnungszentrum für Senior*innen, wurde auch das „Widerstandshaus” der Musikband Grup Yorum gestürmt. Dort erholt sich der Rechtsanwalt Aytaç Ünsal noch immer von einem Hungerstreik, den er im Februar dieses Jahres aufgenommen hatte. Insgesamt 215 Tage war der Jurist mit der Forderung nach einem gerechten Verfahren im „Todesfasten“ gewesen. Einen Tag nach seiner Haftentlassung im September hatte er die Aktion beendet.

Wie Ünsal gegenüber ANF mitteilte, schlug die Polizei ohne Vorwarnung mit einem Vorschlaghammer die Eingangstüre des Widerstandhauses ein. Anschließend füllte sich der kleine Gecekondu-Bau (türk. für „über Nacht aufgestellt“) mit dutzenden schwer bewaffneten Polizisten. Während der Durchsuchung seien Langfeuerwaffen auf Ünsal und seine Betreuperson gerichtet worden. Nachdem das Haus verwüstet wurde, zog die Polizei wieder ab.

Fünf Festnahmen im Cemhaus

Im alevitischen Gemeinde- und Versammlungshaus soll es bisher zu fünf Festnahmen gekommen sein. Es wird erwartet, dass diese Zahl im Lauf des Tages weiter steigen wird. Die Kanzlei „Rechtsbüro des Volkes“ (HHB) hat die Razzia bei Aytaç Ünsal mit scharfen Worten kritisiert und als „faschistischen Staatsterror“ bezeichnet.

Küçük Armutlu: Fast vierzig Jahre im Widerstand

In Küçük Armutlu, einem Gecekondu-Viertel, das Anfang der 1980er Jahre mehrheitlich von alevitischen Revolutionär*innen und Arbeiter*innen gegründet wurde, wird in den selbstgebauten Häusern und Gebäuden der Gegenentwurf der staatlich gelenkten Gentrifizierung umgesetzt. Die AKP-Regierung hat viele Viertel in Istanbul zu Arealen der „urbanen Transformation“ erklärt, dazu zählt auch Küçük Armutlu. Das Viertel liegt direkt an der zweiten Bosporusbrücke, Meerblick inklusive. Somit liegt es als teures Spekulationsland im Zentrum des Interesses profitgieriger Immobilienhaie. Die Bevölkerung jedoch ist seit jeher politisch hoch organisiert. Projekte wie beispielsweise ein Volksgarten werden ohne staatliche Genehmigung und sehr oft erst nach massivem Widerstand gegen Behörden und die Polizei durchgesetzt. Gegen die staatliche Repression wird seit knapp vier Jahrzehnten kollektiv Widestand geleistet.