Prozess gegen Anti-Abschiebeaktivistin in Bayern

Vor dem Amtsgericht Erding findet heute der Prozess gegen eine Aktivistin statt, der vorgeworfen wird, durch das Verteilen von Flugblättern am Gate des Münchner Flughafens die Abschiebung des kurdischen Aktivisten Ramazan A. verhindert zu haben.

Vor dem Amtsgericht Erding findet heute der Prozess gegen eine Nürnberger Aktivistin statt, der vorgeworfen wird, durch das Verteilen von Flugblättern am Gate des Münchner Flughafens die Abschiebung des in der Türkei politisch verfolgten Kurden Ramazan A. verhindert zu haben. Die sicherheitsbedingte Entscheidung des Piloten, den Abzuschiebenden am 1. Oktober 2018 nicht mit an Bord zu nehmen, wird der Aktivistin nun als Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt ausgelegt. Das teilte das Solidaritätskomitee für die Nürnbergerin mit.

Ramazan A. und der Aktivist Yüksel T. waren im vergangenen November nach Bulgarien abgeschoben worden, nachdem das Asylgesuch der beiden von den bayerischen Behörden negativ beschieden wurde. Zuvor saßen sie rund drei Monate im Abschiebegefängnis Eichstätt in Haft. In beiden Fällen hatte die Polizei mehrere – zunächst erfolglose Abschiebeversuche unternommen. Mittlerweile haben Ramazan A. und Yüksel T. über mehrere Instanzen ihren Prozess gewonnen und wurden in Bulgarien als Asylberechtigte anerkannt, befinden sich aber weiterhin in einem offenen Lager in der Hauptstadt Sofia, wo sie von Aktivist*innen unterstützt werden. Bei einer Zurückweisung in die Türkei wären beide vermutlich direkt im Gefängnis gelandet. Yüksel T. hat in der Türkei bereits fast eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen, weil er in eine Auseinandersetzung mit faschistischen Studenten an der Sütcü-Imam-Universität in Maraş verwickelt war. Dabei wurde er so schwer verletzt, dass er drei Wochen im Koma lag. Ramazan A. wird in der Türkei wegen seiner regierungskritischen Meinungsäußerung in den sozialen Medien verfolgt.

Sie werden beschuldigt, einem anderen Hilfe geleistet zu haben...“
(Zitat aus dem Strafbefehl)

Auch das Solidaritätskomitee für die Nürnberger Aktivistin macht auf die Zustände in der Türkei aufmerksam. In einer Erklärung zum Prozess heute heißt es: „Die politische Situation in der Türkei ist hinlänglich bekannt. Willkürliche Inhaftierungen, Folter in türkischen Gefängnissen und Krieg gegen die Bevölkerung, insbesondere im mehrheitlich kurdisch bewohnten Osten der Türkei. Ramazan A. ist aus genau diesen Verhältnissen geflohen. Da er zunächst in Bulgarien einreiste und dort registriert wurde, sollte der Asylsuchende 2018 im Sinne der Dublin 3 Verordnung aus Deutschland dorthin zurück abgeschoben werden, damit bulgarische Behörden den Asylantrag prüfen.

Bulgarien steht der Türkei in ihrer Behandlung gegenüber Asylsuchenden jedoch in nichts nach. Willkürliche monatelange Inhaftierungen, Verweigerung von grundlegenden Rechten von Asylsuchenden, die Nichteinhaltung von Verfahrensmaßstäben, sowie Gewalt und Misshandlungen durch die Behörden sind dort an der Tagesordnung. Außerdem sind illegale Kettenabschiebungen von Deutschland über Bulgarien in die Türkei traurige Realität. Auch bei Ramazan A. war davon auszugehen, dass eine direkte Abschiebung in die Türkei ohne anständige Überprüfung des Asylstatus zu erwarten ist und in der Folge in der Türkei mit Haft und Folter zu rechnen ist.

Der Angeklagten wird nun vorgeworfen, durch das Verteilen von Flugblättern auf diese Umstände aufmerksam gemacht zu haben. Der Geflüchtete äußerte, nicht freiwillig mitfliegen zu wollen. Der Pilot entschied sich anschließend aus Sicherheitsbedenken gegen eine Mitnahme des Abzuschiebenden. Der Aktivistin wird dies im Zusammenhang mit dem Verteilen von Flugblättern nun als Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt angelastet.

Als Solidaritätskomitee verurteilen wir diese Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft deutlich und stellen uns klar auf die Seite der Angeklagten. Aktiv auf derartige Missstände und eine zu erwartende Inhaftierung und Folter in Bulgarien und der Türkei aufmerksam zu machen, ist kein Straftatbestand, sondern moralische Pflicht. Der Tatvorwurf der Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt ist an den Haaren herbeigezogen. Der Prozess ist daher insbesondere im größeren Kontext des Rechtsrucks in unserer Gesellschaft als von der Staatsanwaltschaft politisch motiviert zu verstehen, um gegen unliebsame Meinungen und Handlungen vorzugehen, die sich von der allgemeinen Gleichgültigkeit in großen Teilen der Bevölkerung absetzen.

Wir fordern einen Freispruch für die Beschuldigte. Wir fordern ein bedingungsloses Bleiberecht und einen Stopp der Auslieferungen an Länder wie Bulgarien, die für illegale Kettenabschiebungen in die Türkei und gravierende Verstöße gegen bestehende Asylgesetzregelungen verantwortlich sind.

Aus diesem Grund wird zudem kurz vor Beginn des Prozesses um 14:00 eine Kundgebung vor dem Amtsgericht Erding stattfinden, welche die haarsträubenden Vorwürfe gegen die Beschuldigte ins Blickfeld rücken soll.“

Der Prozess vor dem Amtsgericht Erding (Münchener Str. 27) beginnt um 15 Uhr in Raum E. 0.22.