Seit über dreißig Jahren besteht das Autonome Zentrum (AZ) in Wuppertal an der Gathe. Für einen Moschee-Neubau des aus der Türkei gesteuerten Islamverbands DITIB soll es aber weichen. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet DITIB an diesem Projekt, die Machbarkeitsstudie wurde im Dezember vorgelegt. Es geht um ein etwa 6.000 Quadratmeter großes Areal mit mehreren öffentlichen Platzflächen, auf dem sich nicht nur das islamische Gotteshaus für 700 Personen (so viele, wie in der jetzigen Zentralmoschee genau gegenüber auch) befinden soll, sondern ebenfalls ein Gemeindezentrum, Lebensmittelläden, ein Kindergarten, Betreutes Wohnen, Büros und eine Tiefgarage. Stadtverwaltung und Politik sind entzückt. Weichen müssten für die Neuplanungen neben dem AZ auch ein Schrottplatz und eine Ex-Tankstelle.
Beim AZ werfen sich einige Fragen auf, die in einem Offenen Brief formuliert worden sind, den wir nachfolgend veröffentlichen:
Wie wir in den letzten Monaten aus der Presse erfahren durften, konkretisiert die DITIB-Gemeinde Wuppertal ihre Pläne des Moscheebaus an der Gathe zu Lasten unseres Zentrums. Unterstützung bekommt sie dabei von Fürsprecher:innen in den städtischen Ressorts und Gremien über Parteigrenzen hinweg. Mitten in der Pandemie wird in der Lokalpresse unsere Verdrängung diskutiert.
Wir sind, gelinde gesagt, überrascht, wenn Sozialdezernent Kühn in der WZ vom 29. Dezember 2021 über die mangelnde Flexibilität des Autonomen Zentrums redet, wobei er gleichzeitig die Verantwortung für die Suche nach einem Alternativstandort auf uns abzuwälzen versucht.
Von den versprochenen Alternativen, die uns angeboten werden sollten, haben wir bislang nichts gesehen. Stattdessen sieht es ganz so aus, als plane die Stadtverwaltung gemeinsam mit der DITIB die Umsetzung des Projektes in Hinterzimmergesprächen, wo hingegen wir, über Jahre hinweg, nicht über die Entwicklungen informiert werden.
Während nicht mit uns, dafür aber mit der Presse und mit DITIB, über uns gesprochen wird, phantasiert der Sozialdezernent bereits eine Räumung des AZ herbei und nimmt dabei Proteste und Gewalt vorweg.
So soll der Komplex nach dem Willen von DITIB aussehen
Besonders überrascht uns aber der Eifer, mit dem Vertreter:innen der Stadtverwaltung darauf hinarbeiten, die Pläne der DITIB umzusetzen. Hat sich seit 2015, in dem der Verband durch Spitzelskandale für den türkischen Geheimdienst bundesweit in die Schlagzeilen geriet, irgendetwas Nennenswertes geändert? Oder wie kommen Teile der Stadtverwaltung dazu, die Entwicklung eines ganzen Stadtteils einem Verband zu überlassen, welcher direkt dem autokratischen türkischen Regime untersteht?
Dem gleichen Regime, dass für die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Teilen Syriens, dem Aufbau und der Unterstützung islamistischer Milizen und ethnischen Säuberungen in den besetzten Gebieten Afrins verantwortlich ist.
Alle DITIB-Gemeinden, so auch die in Wuppertal, unterstehen der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Der Diyanet-Chef ist Ehrenpräsident des DITIB. Der Religionsattaché der türkischen Botschaft sowie das Personal der Konsulate haben Mitspracherecht bei den DITIB-Gemeinden. Zudem steuert Diyanet die Ausbildung der DITIB-Kleriker in Deutschland mit. Es heißt, dass die Diyanet mehr Mitarbeiter als das Innen- und das Außenministerium hat, Tendenz steigend. Die Direktion für religiöse Angelegenheiten unterliegt der staatlichen finanziellen Aufsicht, aber die Diyanet-Stiftung ist von dieser Prüfung ausgenommen. Die Moscheen im Ausland und ein Großteil der Jugendarbeit der Direktion werden über eben diese Stiftung abgewickelt.
Seit 2010 weitet die Diyanet-Behörde ihren Einfluss über religiöse Einrichtungen (wie Moscheen) in der Türkei systematisch und intensiv aus. Insbesondere Kinder-, Jugend- und Familienarbeit stehen vermehrt im Fokus. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass ähnliche Vorstöße auch in Deutschland zu beobachten sind. Jüngst bewarb sich die DITIB-Essen darum, als Träger in der Jugendhilfe zu fungieren und auch hier in Wuppertal strebt die Gemeinde danach, ihr soziales Engagement auszuweiten. Die Stadt entledigt sich kostengünstig ihrer sozialen Verantwortung, wie sie es auch in Zusammenarbeit mit anderen religiösen Trägern tut, nur handelt es sich hierbei nicht nur um eine religiöse Institution, sondern eben auch um einen Ableger des türkischen Staates, in welchem die AKP-Regierung in Koalition mit der faschistischen Partei MHP systematisch Demokratieabbau betreibt.
War es vor ein paar Jahren aufgrund zahlreicher Skandale umstritten, große Bauvorhaben mit der DITIB umzusetzen, so scheint diese Haltung zumindest in Wuppertal nicht mehr aktuell zu sein. Aber welchen der ihr gemachten Vorwürfe hat die DITIB, insbesondere die DITIB Wuppertal, glaubhaft ausräumen können?
In der Presse wird seitens der Stadt Wuppertal und ihren Vertreter:innen immer wieder der Dialog und die Zusammenarbeit mit der Wuppertaler DITIB-Gemeinde betont und gelobt. Über die Inhalte dieses regen Austauschs bleibt die Öffentlichkeit jedoch weiter im Unklaren. Wie bewertet die Stadt Wuppertal die Struktur des DITIB-Verbandes und die Rolle des türkischen Staates?
Wie transparent ist die DITIB, was ihre ideologische und politische Ausrichtung anbelangt? Welche Themen wurden diskutiert?
Wir wollen von der Stadt Wuppertal wissen, wie sie die Position der DITIB zu folgenden Punkten einschätzt:
1. Welche Haltung besteht zur völkerrechtswidrigen Militäroffensive des türkischen Staates in Syrien und im Irak? Der Zusammenarbeit mit islamistischen Milizen und der Vertreibung der örtlichen Bevölkerung in den besetzten kurdischen Gebieten?
2. Wie steht die DITIB zur Armenienresolution des Bundestages? Erkennt sie den Völkermord an den Armenier:innen an?
3. Wie wird die Unterdrückung Oppositioneller und die systematische Aushebelung der Pressefreiheit in der Türkei bewertet?
4.Wie verhält sich die DITIB zu den Vorwürfen, ihre Imame hätten Informationen über Oppositionelle an den türkischen Geheimdienst weitergegeben?
5. Wie bewertet die DITIB den Ausstieg der Türkei aus der Istanbul-Konvention, einem Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt?
6. Wie positioniert sich DITIB, wenn der Diyanet-Chef, Dr. Ali Erbaş, sagt, dass Ehebruch und Homosexualität Krankheiten wie AIDS verursachen und Degenerationserscheinungen seien?
Zum Abschluss sei noch eine weitere Frage erlaubt:
Auch in der Stadt Wuppertal wurde einigen aus der Türkei geflohenen Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und weiteren Menschen Asyl und somit Schutz vor Verfolgung gewährt. Wie ist das damit zu vereinbaren, dass die Stadt Wuppertal gerade mit einer Einrichtung wie DITIB das Zusammenleben von Menschen verschiedenster Religionen, Nationalitäten und Überzeugungen an der Gathe fördern und verbessern will?