Neuerscheinung: „Wir wissen was wir wollen”

Im Februar wird das Buch „Wir wissen was wir wollen – Frauenrevolution in Nord-und Ostsyrien. Widerstand und gelebte Utopien Band II“ erscheinen. Mitglieder des Herausgeberinnenkollektivs stellen das Buch im Gespräch mit ANF vor.

Im Winter 2018/2019 reiste eine Delegation der Organisation „Gemeinsam Kämpfen“ von Deutschland aus in das Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien, um besser zu verstehen, was eine Frauenrevolution bedeuten kann. Mitte Februar 2021 wird im Verlag Edition Assemblage ein Buch mit dem Titel „Wir wissen was wir wollen – Frauenrevolution in Nord-und Ostsyrien. Widerstand und gelebte Utopien Band II“ erscheinen, das die Delegation in Zusammenarbeit mit dem Andrea Wolf Institut in Rojava erstellt hat. ANF führte ein Interview mit einigen Mitgliedern des Herausgeberinnenkollektivs.

In Kürze erscheint euer Buch „Wir wissen was wir wollen“. Wie ist die Idee für dieses Buch entstanden?

Marie: Die Idee für eine Fortsetzung von dem 2010 erschienenen Buch „Widerstand und gelebte Utopien“ in Hinblick auf die Frauenrevolution in Rojava geisterte eigentlich schon seit Beginn der Revolution in sehr vielen Köpfen und Herzen herum. Immer wieder drangen Informationen über den heldinnenhaften Widerstand in Kobanê und den Aufbau einer von Frauen angeführten demokratischen Selbstverwaltung inmitten eines zutiefst unmenschlichen Krieges zu uns durch – in eine Welt, in der der Traum von einem freien Leben als aussichtslos dargestellt wird.

Als sich dann einige unserer Freundinnen auf den Weg machten und sie von ihren ersten Erfahrungen und Erlebnissen berichteten, wurde klar, dass es unbedingt ein solches Buch braucht, um die Errungenschaften der Frauenrevolution und ihre Hintergründe mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Es war auch klar, dass über einen so kollektiv erkämpften Erfahrungsschatz nicht individuell berichtet werden kann. Als dann die Freundinnen vom Frauenbüro für Frieden - Cenî und der Jineolojî von der Möglichkeit einer Delegation für ein Buchprojekt berichteten, haben wir uns sehr schnell zusammengefunden und voller Freude an die Planung gemacht. Uns verbindet die Suche nach gemeinsamen Zukunftsperspektiven, nach politischer Organisierung und nach einem starken Feminismus. Wir sind der Überzeugung, dass die Freiheitsbewegung in Kurdistan und Nord- und Ostsyrien ein bedeutender Wegweiser in dieser Suche ist. Fragen, mit denen wir nach Rojava gegangen sind, waren niemals nur unsere eigenen, sondern wir haben uns immer in dieser gesellschaftlichen Suche verortet und unser ganzes Umfeld mitgenommen. Ende 2018 konnte es dann endlich losgehen. Wir wollten von den Frauen vor Ort lernen, was es bedeutet, in einer Revolution zu leben und ein neues gesellschaftliches Miteinander aufzubauen.

Inwieweit nimmt das Buch Bezug auf „Widerstand und gelebte Utopien“?

Solveig: Das Buch steht ganz klar in einer Reihe mit „Widerstand und gelebte Utopien“. Dort haben Frauen ja vor allem mit Freundinnen der kurdischen Frauenbewegung in den Bergen der Medya-Verteidigungsgebiete gesprochen. Unser Fokus liegt nun auf Gesprächen über die Frauenrevolution in Rojava bzw. Nord- und Ostsyrien. Genauso wie diese Revolution nicht ohne die Geschichte der kurdischen Frauenbewegung zu denken ist, liegt auch die Grundlage von „Wir wissen was wir wollen“ im ersten Teil „Widerstand und gelebte Utopien“. Sehr viel der immensen Entwicklung der letzten Jahre, also der Aufbau der Selbstverwaltung, die unzähligen Frauenprojekte oder der unablässige Widerstandsgeist in Nord- und Ostsyrien ist den Frauen aus den Bergen zu verdanken. Das ist uns in den Interviews und Gesprächen immer wieder deutlich geworden. Der erste Teil „Widerstand und gelebte Utopien“ war für viele Internationalistinnen in Deutschland ein ganz wichtiger Schritt, mehr von dem zu verstehen, für was die Frauen in Kurdistan einstehen. Das versuchen wir weiter zu führen, es ist ja so viel passiert seitdem. Auch wollen wir vor allem die Frauen vor Ort zu Wort kommen lassen, so wie die Freundinnen vor uns. Die Zusammenarbeit mit den Autorinnen des ersten Teils hat uns da viel geholfen und das Buch wäre ohne sie und die Frauenbewegung vor Ort nicht möglich gewesen.

Wie habt ihr euch als Gruppe in Rojava bewegt, mit wem habt ihr Kontakt gehabt, wer waren eure Interviewpartnerinnen?

Lucie: Wir hatten die Möglichkeit, an zahlreichen Orten mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch zu kommen. Zunächst haben wir eine Rundreise gemacht, was sehr intensiv und schön war. Wir haben innerhalb kurzer Zeit so viele Menschen getroffen und so viele Gegenden gesehen, dass die paar Tage wie ein paar Monate wirkten. Darüber hinaus haben uns während unseres Aufenthalts eine Vielzahl an Menschen ihre Erfahrungen seit Beginn der Revolution und vor der Revolution näher gebracht. Gemeinsam mit der Frauenbewegung vor Ort besuchten wir verschiedenste Institutionen und Initiativen, Familien und Genoss*innen in Städten und Dörfern. Wir konnten Seminare besuchen und einige Wochen und Monate in unterschiedlichen Projekten verbringen. Wir haben unglaublich beeindruckende Frauen kennengelernt, von denen viele schon seit Jahrzehnten in der Bewegung aktiv sind und schon unter dem Assad-Regime Widerstand geleistet haben. Wir haben mit Kämpferinnen sprechen können, die in Kobanê gegen den IS gekämpft haben, der Kampf ist sehr vielfältig. An dieser Stelle wollen wir nochmal ein großes Dankeschön aussprechen, an alle, die uns ihre Einschätzungen, Analysen und Geschichten anvertraut haben und durch die das Buch entstehen konnte.

Was ist die Intention des Buches?

Lucie: „Wir wissen was wir wollen“ möchte vor allem den Zeitraum ab 2010 und die Entwicklungen der Frauenrevolution und die weiteren Schritte hin zu der Umsetzung des demokratischen Konföderalismus in Nord- und Ostsyriens aufzeigen. Wir wünschen uns, dass die Inhalte so viele Menschen wie möglich erreichen und sie, so wie wir, von den Erfahrungen und Errungenschaften der Revolution lernen können. Sie sollen die Hoffnung und den Mut fassen, eigene Strukturen aufzubauen und gemeinsam für eine befreite Welt zu kämpfen.

Wie habt ihr mit mit einer so großen Gruppe zusammen gearbeitet? Wie verlief der Arbeitsprozess?

Maira: Die Entstehung des Buches und unsere Zusammenarbeit als Gruppe hatte verschiedene Phasen. Als Delegation in den befreiten Gebieten Nord- und Ostsyriens haben wir uns in kleinere Gruppen aufgeteilt und auf diese Weise sehr viele Interviews führen können. So haben wir mit vielen verschiedenen Frauen sprechen und die Selbstverwaltungsstrukturen besuchen können. Anschließend haben wir sowohl in Rojava als auch in Deutschland in kleineren Gruppen an den einzelnen Kapiteln gearbeitet. Diesen Prozess haben wir sehr kollektiv gestaltet. Einerseits kommen in den verschiedenen Texten die unterschiedlichen Farben der einzelnen Personen zum Vorschein. Andererseits wurde jeder Text auch immer von noch weiteren Personen gelesen und bearbeitet.

In Deutschland haben dann regelmäßige gemeinsame Treffen stattgefunden. Diese Treffen waren sehr intensiv und wichtig, um miteinander über Inhalt und Struktur des Buches zu diskutieren, uns untereinander sowie mit der kurdischen Frauenbewegung abzusprechen, uns gegenseitig zu unterstützen und Methoden, die wir in Nord- und Ostsyrien kennengelernt haben, auch beim Entstehungsprozess des Buches mit einfließen zu lassen. Letztendlich war der Entstehungsprozess des Buches ebenso wichtig wie das Ergebnis.

Habt ihr während der Phase des Schreibens noch Kontakt nach Rojava gehabt?

Ida: Wir waren im ständigen Austausch mit Freundinnen vor Ort. So ist die Perspektive der Menschen, die dort leben, immer wieder mit eingeflossen. Wir hatten regelmäßige Online-Treffen und E-Mail-Kontakt. Sie haben auch Texte geschrieben und unsere Texte überarbeitet, waren also Teil des Autorinnenkollektivs. Dadurch hat es sich auch nicht so angefühlt, als würden wir als vermeintlich Außenstehende über etwas schreiben, sondern ein gemeinsames Projekt verwirklichen.

Es war sehr schön, da so zusätzlich die Verbindung aufrecht erhalten blieb und sich vertiefte.


Herausgeberinnenkollektiv:
Wir wissen was wir wollen
Frauenrevolution in Nord-und Ostsyrien. Widerstand und gelebte Utopien Band II

Broschur | 140*205mm
600 Seiten | 15€
978-3-96042-100-9 | 2-973
Mitte Februar 2021
Bestelladresse: Informationsstelle Kurdistan [email protected]
Buchvorstellungen können über das Herausgeberinnenkollektivs angefragt werden: [email protected]