Mehmet Çakas: Grußwort aus der Haft zum 18. März

Zum Internationalen Tag der politischen Gefangenen, 18. März, hat das „Internationalistische Bündnis Hannover“ zu Aktionen aufgerufen. In diesem Rahmen ist auch ein Grußwort des in Uelzen inhaftierten kurdischen Aktivisten Mehmet Çakas verlesen worden.

Internationale Solidarität in Hannover

Das „Internationalistische Bündnis Hannover“ hat gestern zum Tag der politischen Gefangenen zu einer Mahnwache und Demonstration unter dem Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit – gemeinsam – solidarisch – widerständig“ aufgerufen. Während der Mahnwache am Kröpcke waren in einem Stuhlkreis Porträts und Geschichten politischer Gefangener aus der ganzen Welt ausgestellt, die sowohl von Teilnehmenden wie auch von Passant:innen mit Interesse gelesen wurden.

Eine Stunde nach Beginn der Kundgebung startete die gemeinsame Demonstration mit vielfältigen Redebeiträgen. Es wurde auch ein Grußwort des in Uelzen inhaftierten politischen Gefangenen Mehmet Çakas verlesen. Der kurdische Aktivist wurde im Dezember 2022 von Italien an Deutschland ausgeliefert und im April 2024 vom Oberlandesgericht Celle zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen der vermeintlichen Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verurteilt.

„Die kurdische Community soll entpolitisiert werden“

Zur Einleitung des Grußwortes erklärte das Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Hannover e.V. (NAV-DEM Hannover): „Die kurdische Community hier in Deutschland soll verunsichert und entpolitisiert werden, damit sich hier kein Widerstand gegen die mörderische Politik des türkischen Staates regt. Dafür sorgt ein dichtes Netz von Spitzeln, die vom Verfassungsschutz und dem polizeilichen Staatsschutz angeworben werden. Dafür sorgen auch die Verbote von Symbolen und Parolen der kurdischen Befreiungsbewegung auf Demonstrationen und Veranstaltungen. Und dafür sorgen nicht zuletzt auch die Anklagen und Verurteilungen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer ausländischen „terroristischen“ Vereinigung nach dem § 129b StGB. In diesen Verfahren werden den Beschuldigten so gut wie nie individuelle Straftaten vorgeworfen. Allgemeine politische Aktivitäten wie etwa das Organisieren von Demonstrationen und Kulturveranstaltungen reichen aus, um die Betroffenen für Jahre hinter Gitter zu sperren. Aktuell befinden sich 16 kurdische Aktivist:innen, denen eine Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen wird, in deutschen Gefängnissen in Straf- oder Untersuchungshaft.

Der im Dezember 2022 aus Italien ausgelieferte Aktivist Mehmet Çakas wurde am 10. April vom Oberlandesgericht Celle zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen der vermeintlichen Mitgliedschaft der PKK verurteilt. Aus dem Gefängnis hat er uns eine Botschaft übermittelt, in der er unsere Aktion heute begrüßt, sich bedankt und auf den kürzlich veröffentlichten historischen Aufruf von Abdullah Öcalan Bezug nimmt.“

Im folgenden wird das Grußwort in voller Länge veröffentlicht.

„Die menschen- und naturfeindliche Konsumordnung wird zerfallen“

„Liebe Freund:innen,

zunächst begrüße ich alle, die zur Organisation dieser Aktion beigetragen haben sowie alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Wie ihr wisst, führen wir diese Aktion in einer Zeit durch, in der äußerst entscheidende Entwicklungen stattfinden. Die kapitalistische Moderne, die sich seit langem in einer Systemkrise befindet, erlebt heute in ihrer gesamten Struktur ein Zerbröckeln. Trotz aller Restaurationsversuche ist diese menschen- und naturfeindliche Konsumordnung dazu verdammt, auseinanderzufallen. Die Rücksichtslosigkeit der Tyrannen, die sie sowohl in ihren eigenen Häusern als auch auf der globalen Bühne zeigen und die die diplomatischen Rituale der bestehenden Ordnung zunichte machen, verdeutlicht, dass viele Dinge nicht mehr so sein können wie zuvor.

„Diese kraftvolle Stimme ist von großer Bedeutung“

Die in Europa aufkommende rechte Hysterie versucht im Grunde, die Lebensdauer der zusammenbrechenden Moderne zu verlängern, indem sie noch mehr Faschismus produziert, die Saat von Feindseligkeit und Hass sät, die Aufrüstung vorantreibt und die Freiheit weiter einschränkt.

Während überall Aufrüstung, Gewalt und Kriegsgeschrei zu hören sind, hat die Stimme des Friedens und der Demokratischen Gesellschaft, die am 27. Februar weltweit Widerhall fand, uns allen – allen Verfechter:innen von Freiheit, Demokratie und Frieden – große Hoffnung gegeben. Für diejenigen, die die Ereignisse oberflächlich, pragmatisch und medienorientiert betrachten, mag dies schwer zu verstehen sein, doch für diejenigen, die sich mit dem historischen, gesellschaftlichen und freiheitlichen Bewusstsein dem Manifest der Demokratischen Gesellschaft annähern, ist der Wert dieser kraftvollen Stimme von großer Bedeutung. Dass diese Stimme aus einem Gefängnis erklang, ist umso bedeutsamer.

„Keine andere Wahl, als Solidarität und Widerstand“

Es wird nun immer besser verstanden, wie wertvoll und erfolgreich der 26 Jahre lang ununterbrochen geführte Solidaritätskampf ist. In der Zukunft wird ihm die gebührende Anerkennung zuteil werden. In diesem Sinne ist die Solidaritätsaktion für politische Gefangene am 18. März in diesem Jahr noch bedeutsamer und wertvoller.

Angesichts einer wahnsinnigen Rechten, die die ganze Welt in ein Gefängnis verwandeln will, um aus der Krise herauszukommen, haben wir keine andere Wahl, als Solidarität und Widerstand sowohl auszuweiten als auch zu vertiefen.

„Wir werden ohne jeglichen Zweifel Widerstand leisten“

Auch ich, als politischer Gefangener, werde weiterhin an der Seite des Friedens und der Demokratischen Gesellschaft stehen. Die hohe Moral, die ich aus dem Aufbruch vom 27. Februar – mit dem Gedanken, dem Willen ‚Ich kann diese Ordnung durchbrechen‘ – geschöpft habe, und die Kraft, die ich aus eurer wertvollen Unterstützung gewinne, geben mir die Entschlossenheit, weiterhin gegen religiösen Fanatismus, nationalistische und sexistische Zwänge zu kämpfen.

Soweit ich gehört habe, gibt es einige, die aufgrund des historischen Aufrufs vom 27. Februar verunsichert sind.

An diese wertvollen Freundinnen und Freunde, die verunsichert sind, möchte ich als politischer Gefangener und Kurde bescheiden folgenden Rat geben: Bitte ändert endlich eure Denkweise.

Gegen den von rechts aufgezwungenen Faschismus werden wir ohne jegliche Zweifel Widerstand leisten!

Mehmet Çakas, Gefängnis Uelzen“

„Ein Tag der Ermutigung für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung“

In seinem Aktions-Aufruf erklärte das Internationalistische Bündnis Hannover zum Hintergrund und der aktuellen Bedeutung des Tages: „Der 18. März als Aktionstag der Solidarität knüpft an die Tradition der Arbeiter*innenbewegung an. Es war der Tag des Beginns der Pariser Kommune, ein Tag der Ermutigung für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. In Erinnerung daran erklärte die Internationale Rote Hilfe 1923 den 18. März zum Tag Der Politischen Gefangenen. Nachdem der deutsche Faschismus an die Macht gehievt worden war, konnte dieser Tag lange nicht mehr begangen werden.

Es geht aber nicht nur um einige absurde Urteile und verschärfte Strafrechtsparagrafen. Es geht nicht nur um Repression gegen Linke und migrantische Aktivist*innen. Es geht um eine Veränderung des gesamten politischen Klimas. In diesem Klima wird selbst soziales und politisches Engagement, welches mal als Aushängeschild moderner Demokratien galt, unter Generalverdacht und Beobachtung gestellt. Selbstorganisation, Artikulation von Interessen, menschliches Miteinander, das Sorgen um Andere wird von Seiten des Staates missbilligt. Alles muss unter Kontrolle sein, keine Abweichungen von der Norm. Denn überall wo Menschen sich aus den unterschiedlichsten Motiven selbst organisieren, ist potentielle Widerspenstigkeit da.“

Bild: Mehmet Çakas im OLG Celle (2024)