Kronzeuge sagt gegen über 800 Personen aus

Für ihren politischen Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Opposition unterhält die türkische Justiz einen Kronzeugenpool, aus dem sie sich nach Bedarf bedient. Der Kronzeuge Ümit Akbıyık hat Aussagen gegen über 800 Personen gemacht.

Die Justiz in der Türkei unterhält einen Kronzeugenpool, aus dem sie sich in politischen Strafprozessen nach Bedarf bedienen kann. Wiederholt hat sich in Gerichtsverfahren herausgestellt, dass es sich bei Zeug:innen der Anklage um fiktive Personen handelte. Ein tatsächlich existierender Kronzeuge ist Ümit Akbıyık, der früher im Jugendrat der HDP aktiv war und der Repression nicht standgehalten hat. Auf seinen Aussagen basiert unter anderem ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakır (ku. Amed), in dem im April über 200 Personen zur Festnahme ausgeschrieben wurden, darunter Rechtsanwält:innen, Politiker:innen, Journalist:innen, Künstler:innen und Aktivist:innen. Über vierzig der Betroffenen wurden verhaftet. In den Verfahren stellte sich heraus, dass Akbıyık innerhalb von drei Tagen bei der Polizei in Amed gegen 600 Personen ausgesagt hatte. In der folgenden Zeit stieg die Anzahl der Beschuldigten auf über 800. In den Aussageprotokollen heißt es jeweils zu Beginn: „Die Person, nach der Sie mich gefragt haben...“.

Eine der Personen, nach der Akbıyık gefragt wurde und die im April aufgrund seiner Aussage verhaftet wurde, ist Berfin Can, Mitglied des Partei- und Jugendrats der HDP. Die junge Kurdin wurde am ersten Verhandlungstag im Prozess wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK aus der Untersuchungshaft entlassen. In der Verhandlung vor der zweiten Kammer für schwere Straftaten in Êlih (tr. Batman) wurde mitgeteilt, dass Akbıyık auf eine gerichtliche Anfrage bei seiner Meldeadresse nicht reagiert habe. Ein weiterer Zeuge der Anklage, Şiyar Aydın, der noch im Gefängnis ist, antwortete ebenfalls nicht. Auf eine an die Zeugin Keziban Kuday gerichtete Anfrage kam die Antwort aus dem Gefängnis, dass diese entlassen wurde.

Berfin Can nahm zusammen mit ihrer Rechtsanwältin Gizem Miran über eine Videoschaltung aus dem Frauengefängnis in Amed an der Verhandlung teil und wies die Anschuldigungen gegen sie zurück. Ihre Verteidigung argumentierte, dass die Angeklagte Politikerin sei und sich öffentlich politisch betätigte. Die Aussagen gegen sie seien schwammig und könnten nicht hinterfragt werden, weil die Zeugenpersonen nicht erschienen seien. Das Gericht gab dem Antrag der Verteidigung auf Aufhebung des Haftbefehls statt und ordnete juristische Meldeauflagen an. Die Verhandlung wurde auf den 30. November vertagt.