Die Verhaftungen im Rahmen des politischen Vernichtungsfeldzugs gegen kurdische Politiker*innen und Aktivist*innen in der Türkei basieren häufig auf vermeintlichen Aussagen von anonym gehaltenen Zeugen der Strafverfolgungsbehörden. In den letzten Jahren ist kaum ein Tag vergangen, an dem keine Verhaftung aufgrund einer solchen „Zeugenaussage“ ergangen ist. Der Kronzeugenpool ist derartig groß, dass die Polizei bereits Schwierigkeiten hat, Codenamen für ihre geheimen Zeugen zu finden. So wird inzwischen auch auf die Namen von Charakteren türkischer TV-Serien zurückgegriffen: Ezel, Cesur, Kurtuluş, Çiçek, İçeride, Ulaş, Firar, Roma, Plevne und Kosova sind nur einige davon.
Manchmal kommt es vor, dass die Gerichte in Verfahren, die auf den im Zuge der polizeilichen Ermittlungen ergangenen Aussagen basieren, die geheimen Zeugen vorladen wollen. In einigen Fällen handelt es sich um Kronzeugen, die sich Straffreiheit durch die Unterzeichnung vorgefertigter Aussagen erhoffen. In anderen Fällen sind die vermeintlichen Zeugen frei erfunden oder es wird zunächst die gewünschte Aussage zur Kriminalisierung einer bestimmten Person erstellt und hinterher nach jemandem gesucht, der oder die das bestätigen soll.
Diese Praxis zeigt sich auch im Schriftverkehr zwischen der achten Strafkammer Diyarbakir (ku. Amed) und der Polizeidirektion der kurdischen Provinzhauptstadt. Das Gericht wollte in einem politischen Prozess zwei von der Polizei genannte Zeugen vorladen. Aus der ANF vorliegenden Antwort der Polizei geht hervor, dass es diese Zeugen gar nicht gibt.
In dem Brief heißt es, dass das Gericht die „geheimen Zeugen mit den Codenamen Çiçek und Kurtuluş“ im Prozess anhören wollte und das nicht möglich sei, weil die Staatsanwaltschaft den Maßnahmenbeschluss von „Kurtuluş“ aufgehoben habe und es „irgendeine Zeugin mit dem Codenamen Çiçek nicht gibt“.