„KillErdogan“-Prozess geht in eine nächste Runde

Die gerichtliche Auseinandersetzung um das „KillErdogan“-Plakat in Bern von 2017 geht in die nächste Runde. Nach den Freisprüchen für die vier Beschuldigten legt die Staatsanwaltschaft nun Berufung ein.

Die gerichtliche Auseinandersetzung um das „KillErdogan“-Plakat in der Schweiz geht in die nächste Runde. Nachdem ein Regionalgericht in Bern im März vier Beschuldigte auf ganzer Linie freigesprochen hatte, wird die Generalstaatsanwaltschaft nun in Berufung gehen, berichten schweizerische Medien. Damit kommt der Fall vor das Obergericht als Gericht zweiter Instanz.

Das Transparent, um das es in dem Verfahren geht, beschäftigt die Politik und Justiz der Schweiz seit 2017. Es zeigt den Schriftzug „Kill Erdogan with his own weapons!“ („Tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen“). Daneben ist das Konterfei des türkischen Regimechefs zu sehen, an seiner Schläfe eine Pistole. Mitgeführt wurde das Plakat im März 2017 bei einer Demonstration in Bern. Der Protest mit dem Titel „Gegen die Diktatur Erdogans - Keine Schweizer Kriegsgeschäfte“ wurde von kurdischen Vereinen, der SP und den Grünen sowie weiteren Gruppen organisiert, um verschiedene Aspekte der türkischen Politik anzuprangern. Neben der kriegerischen Aggression der Erdogan-Führung gegen die Kurdinnen und Kurden und das Verfassungsreferendum ging es aber auch um die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei.

Diplomatischer Krisenfall

Was folgte, war eine diplomatische Krise in typisch Erdoganscher Manier. Noch am selben Tag rief dessen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bei seinem Amtskollegen Didier Burkhalter an und protestierte. Auch wurde der schweizerische Botschafter in der Türkei einbestellt. Weil dieser außerhalb der Stadt war, musste seine Stellvertreterin vorsprechen. Zu wenig für Erdogan, der den Botschafter in den nachfolgenden Wochen höchstpersönlich einbestellte und den Vorfall für seine Propaganda nutzte. Und er forderte strafrechtliche Ermittlungen gegen die Urheber des Transparents. Sie müssten Rechenschaft ablegen.

Richter: Pistole ein Symbol für das gesamte Instrumentarium von Erdogan

In dem folgenden Verfahren warf die Staatsanwaltschaft den vier Angeklagten vor, sich mit dem Plakat der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit gegen Erdogan schuldig gemacht, und hatte Geldstrafen gefordert. Doch das Gericht sprach die Aktivisten frei. Es sei nicht erwiesen, dass sie zu konkreter physischer Gewalt gegen den türkischen Präsidenten aufgerufen hätten. Der Spruch auf dem Plakat – „Kill Erdogan with his own weapons!“ bedeute in erster Linie, den Spieß gegen Erdogan umzudrehen, ihn mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen. „To kill“ bedeute auf Englisch nicht nur „töten“, sondern etwa auch „außer Gefecht setzen“. Und dass auf dem Plakat auch eine Pistole zu sehen gewesen sei, welche auf den darauf abgebildeten Kopf von Erdogan gerichtet war, sei im gesamten Kontext nicht zwingend eine Aufforderung zu Tötung. Man könne die Pistole auch als Symbol für das gesamte Instrumentarium von Erdogan verstehen, das laut Transparent gegen ihn zu richten sei. Bei politischen Kundgebungen seien Plakate häufig provokativ. Der Richter sprach die vier Beschuldigten auch von Nebenanklagepunkten wie etwa Landfriedensbruch frei. Bei diesem Vorwurf ging es um eine Kundgebung von 2018.

Ankara reagiert zornig

In Ankara war man erzürnt über die Freisprüche für die Aktivisten. Die türkische Regierung hatte in der Causa wiederholt Druck auf die Schweiz ausgeübt. Mehrmals meldete sich sogar das Außenministerium bei den Ermittlern mit Verweis auf das Drängen von Ankara, wie Medien unter Berufung auf eine Aktennotiz der Staatsanwaltschaft berichteten. Demnach soll es in einem Vermerk vom 3. Juni 2019 geheißen haben: „Herr K. möchte sich erneut nach dem aktuellen Stand des Verfahrens […] erkundigen. Herr K. erklärt seine erneute Anfrage mit dem bevorstehenden Staatsbesuch von Bundesrat Ignazio Cassis.“ Herr K. ist Mitarbeiter bei der Direktion für Völkerrecht des Schweizer Außenministeriums.

„Wenn nötig, lassen wir uns aber auch bis vor Bundesgericht freisprechen“

Dass die Berner Generalstaatsanwaltschaft das Urteil nun an das Obergericht weiterzieht, nehmen die Beschuldigten gelassen. „Es scheint, als habe die Staatsanwaltschaft Angst vor einem Gesichtsverlust gegenüber der Türkei. Wenn nötig, lassen wir uns aber auch bis vor Bundesgericht freisprechen“, zitierte die Blick einen Betroffenen. Auf Twitter schrieb das Unterstützungskomitee der Aktivisten: „Der Entscheid vor Obergericht wird in 2023 gefällt. Ob Erdogan dann überhaupt noch an der Macht ist, wird sich zeigen.“