Freisprüche im „KillErdogan“-Prozess in Bern

Fast fünf Jahre, nachdem bei einer Demonstration in Bern das „KillErdogan“-Transparent gezeigt wurde, hat das Regionalgericht vier Beschuldigte freigesprochen. Die Demonstration „Gegen die Diktatur Erdogans" findet trotzdem statt.

Nach drei Verhandlungstagen zwischen Januar und März fällte das Regionalgericht Bern-Mittelland heute das Urteil im Verfahren um das „KillErdogan“-Transparent. Es sprach die beschuldigten Personen vom Vorwurf des öffentlichen Aufrufs zu Verbrechen und Gewalttätigkeit frei. Ebenso wurden sie vom Vorwurf des Landfriedensbruches im Zusammenhang mit einer Demonstration im April 2018 freigesprochen. Das teilt das Unterstützungskomitee mit, das den politischen Charakter des Verfahrens mit detaillierten Hintergrundinformationen begleitet hat.

Politischer Sieg in einem politischen Prozess

„Es ist ein politischer Sieg in einem politischen Prozess“, sagt eine der beschuldigten Personen und führt aus: „Die Staatsanwaltschaft beugte sich dem Druck der Türkei und des Schweizer Außenministeriums. Doch es ist uns gelungen, den Spieß umzudrehen.“

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft glich denn auch einer Verteidigungsrede. Sie sprach dem Prozess die politische Dimension ab. Keiner der beschuldigten Personen warf die Staatsanwaltschaft überhaupt vor, das Transparent hergestellt, gehalten oder angebracht zu haben. Vielmehr konstruierte sie die Ansicht, die alleinige Nähe zum Handwagen, an welchem das Transparent befestigt war, reiche für eine Verurteilung aus.

Die Verteidigung der Beschuldigten hatte in ihren Plädoyers argumentiert, ein Aufruf zu einer Gewalttat könne nicht durch die Schweizer Rechtsprechung verfolgt werden. Ebenso ließe das
Transparent verschiedene Interpretationen zu, sowohl die Eindeutigkeit als auch die Eindringlichkeit einer Aufforderung fehle. Hinzu komme, dass bei politischen Kundgebungen provokante Aussagen üblich seien.

Dies sagte zuvor bereits eine Zeugenperson aus, die eine beruflich-akademische Expertise in visueller Kommunikation inne hat. „Man müsse schon einen großen Sprung machen, um das Transparent wörtlich zu nehmen", hatte diese in ihrer Einvernahme gesagt.

Das Gericht folgte der Argumentation, dass der vorgebrachte Gesetzesartikel den öffentlichen Frieden in der Schweiz schütze, eine mögliche Gewalttat gegen eine Person im Ausland aber nicht davon erfasst ist. Ebenso fehle die Eindringlichkeit und Eindeutigkeit beim Transparent. Es gäbe verschiedene Interpretationsmöglichkeiten.

Rechtsanwalt Dominic Nellen: „Wegweisendes Urteil“

„Das heutige Urteil ist wegweisend für die Demonstrations- und Meinungsäußerungsfreiheit in der Schweiz", freute sich Rechtsanwalt Dominic Nellen und führte aus: „Der Richter hat festgehalten, dass es zulässig ist, an eine Demonstration zu gehen und auch mit einem provokativen Plakat für seine Anliegen einzustehen."

„Eigentlich hatten wir schon vor dem Urteilsspruch gewonnen“, lässt sich eine der beschuldigten Personen zitieren. „Durch den Prozess ist es uns gelungen, die Politik Erdogans öffentlich anzuprangern und die Kollaboration mit dem Regime in der Türkei zu demaskieren. Wir wollten den breiten Widerstand in der Türkei und in Kurdistan aufzeigen. Das haben wir erreicht.“

Demonstration: „Gegen die Diktatur Erdogans - keine Schweizer Kriegsgeschäfte"

Schon am Abend soll das nächste Kapitel in diesem Prozess geschrieben werden. Verschiedene Organisationen rufen zu einer Demonstration unter dem Titel „Gegen die Diktatur Erdogans - keine Schweizer Kriegsgeschäfte" auf. Damit sollen die Inhalte, die bereits im Gerichtssaal von den Beschuldigten propagiert wurden, auf die Straße getragen werden.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ob die Staatsanwaltschaft den Gang vor die nächste Instanz wagt, entzieht sich der Kenntnis der beschuldigten Personen.