„KillErdogan“-Prozess wird im März fortgesetzt

Der Berner Prozess zum „Kill Erdogan“-Plakat ist am Mittwoch nach zwei Tagen unterbrochen worden. Er wird voraussichtlich Anfang März mit den Plädoyers fortgesetzt.

Ursprünglich wollte ein Berner Einzelrichter den Prozess um das „Kill Erdogan“-Plakat, das 2017 auf einer Kundgebung für Freiheit, Demokratie und einen Rechtsstaat in der Türkei gezeigt worden war, in zwei Tagen abwickeln. Doch daraus wurde nichts. War der erste Tag des Prozesses geprägt durch einen Antrag, den anwesenden Mitarbeiter der türkischen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu aus dem Gerichtssaal zu verweisen, nutzten die Beschuldigten den zweiten Prozesstag dafür, die kriegstreiberische Politik von Recep Tayyip Erdogan zu beleuchten.

Begonnen wurde die Verhandlung am Mittwoch mit der Entscheidung über den Verweis des Anadolu-Mitarbeiters. Das Gericht verzichtete darauf, ihn aus dem Prozess auszuschließen, verwarnte ihn jedoch. Damit stellte das Gericht immerhin die Verletzung der Unschuldsvermutung durch den Anadolu-Mitarbeiter fest, der von den vier Beschuldigten als „Terroristen“ gesprochen hatte. Kein Gehör fand hingegen die Befürchtung der Prozessteilnehmenden, über sie und Zeug:innen könnten Informationen verbreitet werden, mittels welcher sie von der Öffentlichkeit oder dem türkischen Staat identifiziert würden.

Die Beschuldigten entschlossen sich vorerst, keine Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen. „Es wäre in unserer Macht gestanden, zu entscheiden, ob der Prozess weitergeführt werden kann. Doch wir wollten diesen Prozesstag zu unseren Gunsten und für Inhalte nutzen“, sagte eine der beschuldigten Personen mit Verweis auf den Umstand, dass ein unmittelbarer Einspruch gegen die Verfügung sehr wahrscheinlich zu einem erneuten Abbruch des Verhandlungstages geführt hätte.

Zeugenperson überlebte Anschlag von Pirsûs

Somit konnte die erste Vernehmung stattfinden. Eine bezeugende Person – am Berner Prozess ist der Presse untersagt, Zeuginnen und Zeugen ein Geschlecht zuzuordnen – schilderte äußerst eindrücklich, wie sie „Recep Tayyip Erdogans Gewalt am eigenen Leib erleiden musste“ und das Attentat eines Islamisten in Suruç (ku. Pirsûs) mit bleibenden Schäden überlebt habe. Am 20. Juli 2015 hatte ein vom türkischen Geheimdienst (MIT) beobachteter Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine Versammlung sozialistischer Jugendlicher verübt, die den Wiederaufbau der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê unterstützen wollten. 33 hauptsächlich junge Menschen starben, 104 weitere wurden teils schwer verletzt. Für die Zeugenperson stehe fest, dass Erdogan einer „Mittäterschaft“ an dem Anschlag verantwortlich sei. So waren Krankenwagen nach dem Attentat durch die türkische Polizei daran gehindert worden, den Ort des Geschehens zu erreichen. Die Überlebenden wurden von Sicherheitskräften angegriffen. Auch ging es in der Aussauge um die Einflussnahme des Erdoğan-Regimes, die an dem Beispiel deutlich gemacht wurde, dass Verwandte der vernommenen Person in der Türkei durch die Polizei unmittelbar nach einem Zeitungsartikel schikaniert worden seien.

Staatsanwalt malt Quadrate aus

Der Gerichtspräsident wollte die Einvernahme mehrmals abbrechen, weil die Aussagen nicht zu den vorgeworfenen Delikten beitragen würden. Der Rechtsbeistand intervenierte mit Verweis auf einen Antrag gegenüber der Vorgängerin des Gerichtspräsidenten. Somit musste sich der Richter geschlagen geben und die weitere Befragung zulassen, an welcher die Gräueltaten Erdogans klar benannt wurden. Bei der Staatsanwaltschaft stieß dies offensichtlich auf Desinteresse, denn statt den relevanten Ausführungen gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, wurden Quadrate auf karierten Blättern ausgemalt.

Vorwurf: Türkei nimmt Einfluss auf schweizerische Justiz

Die Vernehmung wurde im weiteren Verlauf dafür genutzt, um auf die politische Dringlichkeit der eigenen Anliegen aufmerksam zu machen. Gleich zu Beginn der Befragung war zu einer Schweigeminute aufgerufen worden, um allen durch das Erdogan-Regime getöteten Menschen und Gefallenen zu gedenken. Thematisiert wurden die bis zu hunderttausend politischen Gefangenen in türkischer Haft, die völkerrechtswidrigen Angriffskriege gegen Rojava beziehungsweise Nord- und Ostsyrien – teils unter Anwendung geächteter Kampfstoffe – und die Repression gegen kurdische Kunstschaffende. Immer wieder kam es zu Unterbrechungen durch den Gerichtspräsidenten, weil der Kontext fehlen würde. Eine der beschuldigten Personen stellte demgegenüber klar: „Die Machenschaften Erdogans in der Türkei sind zentral für allfällige Motive für die Teilnahme an der besagten Demonstration. Dies ist vor allem deswegen relevant, weil die türkische Regierung offensichtlich in der Schweiz Einfluss auf die Justiz vornimmt!“

Keine Aussagen wegen unzumutbaren Bedingungen der Vernehmungen

Die zweite Zeugenperson konnte durch ihre Expertise in der visuellen Kommunikation die Anklage inhaltlich entkräften. Auch wurde versucht, die ökologische Zerstörung der Türkei durch Erdogan aufzuzeigen. Der Gerichtspräsident unterbrach die beschuldigte Person unvermittelt, worauf diese auf weitere Aussagen verzichtete. Bereits zuvor verweigerte sie die Angabe der Daten zur eigenen Person. „Da sich eine Person eines faschistischen Propagandainstitutes [gemeint war der Mitarbeiter von Anadolu] im Raum befindet, werde ich keine Details zu meiner Person preisgeben“, sagte sie. Die dritte beschuldigte Person verzichtete aufgrund dieser „unzumutbaren Bedingungen der Einvernahmen“ komplett auf jegliche Aussagen.

Kritik an EDA

Die letzte beschuldigte Person bezog sich wieder auf die Einflussnahme durch das EDA sowie der Türkei. Weiter führte die Person aus, dass das Außenministerium (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheite, kurz: EDA) respektive die Unterabteilung „Direktion Völkerrecht“ einem faschistischen, repressiven und brutalen Staat hofiere. Grundsätzlichen Zielen dieser Abteilung, wie der Beseitigung von Folter und Frauendiskriminierung, widerspreche die Zusammenarbeit mit der Türkei fundamental. „Erdogan wollte pädophile Vergewaltiger durch eine Zwangsheirat straffrei davonkommen lassen. Mit solchen Staaten arbeitet das EDA so eng zusammen, dass es sich genötigt sah, in einem Schweizer Strafverfahren zu intervenieren“, hieß es.

Der Antrag seitens der Verteidigung, die EDA-Beamt:innen vorzuladen, da fast ausnahmslos alle Beschuldigten und anwaltschaftlichen Vertretungen die Verstrickungen aufzeigten und thematisierten, wurde durch den Gerichtspräsidenten ganz am Ende des Beweismittelverfahrens zum wiederholten Male abgelehnt.

Fortsetzung im März

Somit endete ein ereignisreicher Prozesstag, wobei weitere zwei Prozesstage folgen werden. Einen ganzen Tag will das Gericht nach Angaben des Unterstützungskomitees für die Plädoyers der Parteien reservieren, die am 2. März gehalten werden sollen. Ein weiterer Tag soll für die Urteilseröffnung eingeräumt werden, die für den 9. März erwartet wird. Die entsprechende Vorladung stehe aber noch aus.