„Kämpfe verbinden“-Konferenz in Gedenken an Halim Dener

Unter dem Motto „Kämpfe verbinden“ fand in Hannover am Wochenende eine Konferenz in Gedenken an Halim Dener statt. Der kurdische Jugendliche war 16, als er vor 30 Jahren von einem deutschen Polizisten erschossen wurde.

„Gefoltert, geflüchtet, verboten, erschossen“

Im Kulturzentrum Pavillon in Hannover fand am Samstag eine Konferenz unter dem Motto „Kämpfe verbinden“ statt. Organisiert wurde die Konferenz in Gedenken an den 16-jährigen Halim Dener, der am 30. Juni 1994 von einem deutschen Polizisten in der hannoverschen Innenstadt erschossen wurde. Vor zehn Jahren hat sich die Kampagne Halim Dener in Hannover zusammengefunden, um sich für ein würdevolles Gedenken an den kurdischen Jugendlichen einzusetzen.

An der „Kämpfe verbinden“-Konferenz, die zum 30. Todestag von Halim Dener initiiert wurde, nahmen über 130 Personen teil und zahlreiche Organisationen und Initiativen aus Hannover und ganz Deutschland waren vertreten. In einer angeregten Atmosphäre haben sich die Teilnehmenden miteinander vernetzt und politische Perspektiven ausgetauscht.

Zu Beginn gab es eine Begrüßungsrede der Kampagne Halim Dener. Anschließend hielten die Teilnehmenden der Konferenz eine Schweigeminute für den Jugendlichen sowie Menschen, die im Kampf für Freiheit ihr Leben gelassen haben. In der Rede wurden die Kämpfe „gefoltert, geflüchtet, verboten, erschossen“ aus der Biografie Deners ausgeführt, die stellvertretend auch heute für die Realität vieler anderer Menschen stehen. Am Ende hieß es: „Lasst uns heute gemeinsam den Tag beginnen mit den Worten: Gefoltert. Geflohen. Verboten. Erschossen. Kämpfe verbinden! Wie Abdullah Öcalan sagt: „Eine andere Welt ist möglich. Wir können sie schaffen, wenn wir zusammenkommen und kämpfen. [Wenn wir] zusammen das hier und jetzt mit dem richtigen und dem schönen Leben beginnen.“

Die Situation ist eine des Chaos

Die Einordnung der politischen Lage nahm der Journalist und Aktivist Tim Krüger vor. Er beschrieb die globalen Verbindungen zwischen den Staaten und ihr Konkurrieren in der kapitalistischen Weltordnung. Mit dem ziehen der Verbindungen nach Kurdistan, Europa und Deutschland verdeutlichte Krüger die Bedeutung der globalen Dimension des Kapitalismus für die lokalen Kämpfe.

„Als die Friedrich-Ebert-Stiftung, die der SPD nahesteht, im Jahr 2022 zu einer Konferenz eingeladen hat, um über die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Weltgeschehen zu diskutieren, hat der jetzige SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil die Eröffnungsrede dieses Symposiums gehalten. Bei dem Treffen waren verschiedene Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Sicherheitspolitik, aber auch der Rüstungsindustrie und verschiedene Politiker der SPD aus der Bundesregierung vertreten und haben darüber diskutiert, wie Deutschland sich wappnen kann, wie die Bundesrepublik die Zeitenwende, die am 27. Februar 2022 eingeleitet worden ist, erfolgreich umsetzen kann und selbst wieder, so hat es Lars Klingbeil gesagt, nach 80 Jahren der Zurückhaltung zu einem Akteur in dieser Welt werden kann, der prägenden Einfluss auf das Weltgeschehen nimmt. Lars Klingbeil hat seine Rede mit einem Zitat des italienischen Revolutionärs und Philosophen Antonio Gramsci begonnen. Er hat gesagt: „Gramsci hat gesagt, die Definition von Krise, die Definition von Chaos ist, wenn die alte Ordnung zerbrochen ist, aber die neue Ordnung noch nicht geboren worden ist.” Und Lars Klingbeil hält in seiner Rede fest, dass das genau die Definition der Situation ist, in der wir uns jetzt gerade auf dieser Welt befinden. Ich würde Lars Klingbeil in vielen Punkten nicht zustimmen, aber in dem Punkt würde ich ihm Recht geben. In dem Punkt hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Und er geht noch weiter, er sagt, wir befinden uns in einer Situation des Chaos. Und in einer Situation des Chaos ist es unklar, was aus dieser Situation erwachsen wird, welche politische Ordnung, welche wirtschaftliche Ordnung, welche gesellschaftliche Ordnung wir in Zukunft auf dieser Welt vorfinden werden. In den nächsten zehn Jahren, welche Weltordnung aus der aktuellen Chaos-Situation entstehen wird oder nicht, das ist zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend geklärt. Und es wird davon abhängen, welche Akteure in der Lage sind, sich besser vorzubereiten. Welche Akteure besser in der Lage sind, ihr Projekt zum richtigen Zeitpunkt vorzustellen und durchzusetzen. Und zum richtigen Moment auch die nötige Initiative und den nötigen Mut zu beweisen, in die Lage einzugreifen, wie die Situation ausgehen wird. Deswegen sagt er, müssen wir uns vorbereiten. Deswegen sagt er, als Bundesrepublik Deutschland müssen wir bereit sein. Wir müssen über die militärischen und die ökonomischen Machtmittel verfügen, um selbst dieser neuen Weltordnung unseren Stempel aufzudrücken. Tatsächlich können wir sagen, dass die Situation, in der wir uns gerade befinden, eine Situation des Chaos ist.”

„Unsere andere Weltordnung, die existiert schon heute“

„Wenn wir darüber sprechen wollen, wie wir die Welt verändern können, wie wir selbst eingreifen können, in das, was sich tagtäglich vor unseren Augen entfaltet, dann müssen wir zuallererst sagen, dass die Grundbedingung, um die Welt zu verändern, das Verständnis von dieser Welt ist. Wer etwas verändern möchte, muss zuallererst verstehen: was ist um uns herum? Wer selbst eingreifen möchte in die Geschehnisse, muss verstehen: in welche Richtung entwickelt sich die politische Lage, was sind die Dynamiken, die sie vorantreiben, was sind die möglichen Richtungen, in die sich der politische Prozess entwickeln wird? Je besser wir in der Lage sind, das zu definieren, desto mehr werden wir auch in der Lage sein, zu einer Kraft zu werden, die den Hebel an der richtigen Stelle ansetzt, die zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen findet. Und deswegen ist es richtig, eine solche Konferenz auch mit einer Bewertung der politischen Lage zu beginnen [...]. Wir leben auch in einer Zeit von großen sozialen Bewegungen. Unsere Seite der Geschichte, nicht die Seite der Herrschenden, die existiert schon heute. Unsere andere Weltordnung, die existiert schon heute. Der einzige Unterschied, den wir zu Ihnen haben, ist, dass wir noch nicht organisiert sind. Und das ist etwas, das wir angehen müssen. Das ist etwas, das wir mit dieser Konferenz heute auch hier in Deutschland weiter vorantreiben könnten.“

Notwendigkeit des Erfahrungsaustausches

Nach dem Beitrag Krügers wurden Diskussionen anhand der vier Schlagworte geführt, die auch Halim Deners Biografie prägen: gefoltert, geflohen, verboten, erschossen. Die Gruppen Rheinmetall Entwaffnen, Flüchtlingsrat Niedersachsen und Solinet, Rechtshilfefonds Azadî und Solikreis Bilel gaben darin je einen kurzen Vortrag zu eigenen Arbeiten, Herausforderungen, Erfolgen und Vernetzung und öffneten die Diskussion. Auch wurden die Gruppendiskussionen mit Leitfragen zum Nachdenken angeregt.

Die Arbeit der Kleingruppen wurde in Form einer Diskussion mit allen Teilnehmer:innen zusammengeführt. Fragen davon, was wir aktuell brauchen, um unsere Kämpfe zu verbinden, wie wir gegen Resignation ankämpfen können, was unsere gemeinsame Strategie sein kann und wie wir nach der Konferenz konkret weiterarbeiten und erneut zusammenkommen werden, wurden diskutiert.

Insbesondere die Notwendigkeit des Erfahrungsaustausches wurde betont und dementsprechend auch von Räumen wie die Konferenz, die dies ermöglichen. Der weit verbreiteten Resignation wurden die Organisierung und die daraus entwickelte Moral wie auch eine Verbundenheit mit Kämpfen auf der ganzen Welt entgegengestellt. In dem Kontext wurden auch ein Individualismus und eine Bequemlichkeit kritisiert, die häufig auch in der Linken vorherrschend ist: Es gehe nicht darum, dass unsere Kämpfe möglichst angenehm sind, sondern sie erfordern, wenn wir erfolgreich sein wollen, auch eine große Anstrengung und Willensstärke. Außerdem wurde die fehlende feministische Perspektive in der Konferenz kritisiert und die Notwendigkeit betont, die Verbindung der Themen zu der Unterdrückung der Frau und weiterer Geschlechter zu ziehen und unsere Perspektiven auf dieser Grundlage zu entwickeln. Abschließend wurde die Idee einer Hannover-weiten Vollversammlung aufgebracht, zu der möglichst breit eingeladen werden soll um als demokratische Kräfte zusammenzukommen und Perspektiven zu entwickeln. Dies könne auch in weiteren Orten umgesetzt werden.

„Unsere Geschichten entfalten sich nie isoliert“

Zum Abschluss wurde die Planung einer Hannover weiten Vollversammlung festgehalten. Diese wurde um die Idee ergänzt, aus diesem Rahmen Delegationsreisen zu politischen Gefangenen auf der gesamten Welt durchzuführen. Auch wurde in der Planung festgehalten, auf dem Rheinmetall-Entwaffnen-Camp im September in Kiel die Diskussion fortzusetzen. Geschlossen wurde der Tag mit den Worten Angela Davis': „Unsere Geschichten entfalten sich nie isoliert. Wir können nicht wirklich erzählen, was wir für unsere eigene Geschichte halten, ohne die Geschichten der anderen zu kennen. Und oft entdecken wir, dass diese anderen Geschichten eigentlich unsere eigenen Geschichten sind.“

Zudem wurde erneut betont, weshalb es wichtig ist, auch auf der Straße die Kämpfe zu verbinden und gemeinsam an der Großdemonstration in Gedenken an Halim Dener am kommenden Samstag, dem 6. Juli, teilzunehmen. Auftakt ist um 13 Uhr auf dem Steintorplatz.