Der 30. Todestag von Halim Dener, dem damals 16-jährigen kurdischen Jugendlichen, der 1994 in Hannover von einem deutschen Polizisten erschossen wurde, markiert nicht nur ein trauriges Ereignis, sondern auch den Beginn einer langen Auseinandersetzung um die Umstände seines Todes. Stellvertretend stehen Halims Leben, seine Geschichte und sein Kampf für all diejenigen, die einen ähnlichen Staatsterror gegenüber standen und stehen. Die Kampagne Halim Dener hat sich in den letzten zehn Jahren zum Ziel gesetzt, nicht nur sein Andenken zu bewahren, sondern auch gesellschaftliche Fragen anzugehen, die zu seinem Tod geführt haben. Unter dem Motto „Kämpfe verbinden!“ hat die Kampagne mit einem Bündnis aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und linken Gruppen einen Aufruf gestartet, um gemeinsam gegen rassistische Polizeigewalt und die Unterstützung deutscher Rüstungsunternehmen für Konflikte in Kurdistan und an vielen anderen Orten dieser Welt vorzugehen. In den zehn Jahren wurde durch vielfältige Aktionen und das Erstellen von Materialien das Gedenken an Halim Dener öffentlich gemacht und die politische Sensibilisierung junger Linker gefördert. Die Kampagne hat auch über den lokalen Rahmen hinausgewirkt und Teilerfolge in der Kommunalpolitik erzielt.
Konferenz und Demonstration
Erste Veranstaltungen an einigen Orten im ganzen Land sind bereits geplant, um mit Gruppen in Austausch zu gehen und um für die beiden Großereignisse, Konferenz und Demonstration, zu mobilisieren. So schreibt ein Aktivist der Kampagne: „Wer Interesse an einem Austausch hat oder an einer gemeinsamen Veranstaltung, kann gerne die Kampagne anschreiben.“ Auch wird betont, dass mit den beiden Großereignissen der begonnene Prozess für einen neuen Internationalismus ein weiterer Meilenstein gelegt wird und die Weichen für eine bessere Zukunft gelegt werden. „Ziel wird es sein, voneinander und miteinander zu lernen, ein gemeinsames Bewusstsein für unterschiedliche Kämpfe zu entwickeln und die eigenen Kämpfe mit bestehende zu verbinden“, schreibt der Aktivist. Weiter sagt er: „Zu ihrem zehnjährigen Bestehen lädt die Kampagne zu einer Konferenz am Samstag, 29. Juni, ein, um über ihre Errungenschaften und die Verbindung von Kämpfen zu diskutieren. Vor allem geht es darum, gemeinsame Perspektiven zu diskutieren und über Gemeinsamkeiten näher zusammenzurücken. Dazu soll noch eine Einladung folgen, um Organisationen, Gruppen und Initiativen zu ermutigen, in einen inhaltlichen Austausch mit unterschiedlichen Kämpfen zu gehen. Die Ergebnisse der Konferenz werden sicherlich auch relevant für die Demonstration sein. Denn es ist auch zum 30. Todestag eine Großdemonstration am Samstag, 6. Juli, geplant, um ‚Kämpfe verbinden!‘ auf die Straße zu tragen. Wer die Großdemonstration mit unterstützen möchte und dafür mobilisiert, kann gerne die Kampagne anschreiben. Obwohl die Kampagne in den letzten zehn Jahren viel erreicht hat, bleibt noch viel zu tun, um das Gedenken an Halim Dener würdevoll zu gestalten und gesellschaftliche Kämpfe weiter voranzubringen.“
Aufruf mitunterzeichnen
„Wir würden uns freuen, wenn ihr den Aufruf mit unterzeichnet und zur Großdemonstration mobilisiert. Aktuell haben zahlreiche Organisationen und Gruppen den Aufruf unterzeichnet. Teilt den Aufruf gerne auch in euren Netzwerken und in euren Städten. Zum Unterzeichnen einfach an diese Mailadresse mailen: [email protected]. Auch für gemeinsame Veranstaltungen zum Austausch unter dem Motto ‚Kämpfe verbinden!‘ kann an die genannte Mailadresse bei Interesse geschrieben werden“, so der Aktivist.
Die Kampagne Halim Dener hat auch wieder eine Webpräsenz:
Homepage: https://halimdener.blackblogs.org/
Instagram: https://www.instagram.com/kampagne_halim_dener
Halim Dener: Gefoltert, geflüchtet, verboten, erschossen
In ihrem Aufruf schreibt die Kampagne:
Wir schreiben das Jahr 2024. In vielen Regionen der Welt herrscht Krieg – Gaza, Ukraine, Jemen, Kurdistan – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Regionale und globale Mächte heizen diese Kriege an, ihre Interessen werden genau dort verhandelt, sie liefern die Waffen. Verbrechen und Gewalt gegen Zivilist:innen sind dabei blutiger Alltag, sie kennen viele Gesichter: Folter, Vergewaltigung, Vertreibungen ... 1000 Gründe zur Flucht.
Wer flieht, trifft auf Zäune, Gräben, Mauern, Gewehrläufe. Wer flieht, ertrinkt, erfriert, verdurstet. Durchgesetzt von den Vereinigten Staaten Amerikas und Europas, die sich mit ihren militärisch hochgerüsteten Grenzregimen zu Festungen gegen den Rest der Welt machen. Den auf Kosten des Rests der Welt erbeutete Reichtum will man nicht teilen ‒ egal ob lokal oder global: Man tritt runter auf die Schwächsten, Armen, Ausgebeuteten.
Wer es dennoch schafft und die politischen Verhältnisse in Deutschland und weltweit nicht widerstandslos hinnehmen will, macht sich viele Feinde. Man will in diesem Land keine ,mitgebrachten Konflikte', man soll nicht ,auch noch Ansprüche stellen' und für eine andere Welt kämpfen schon gar nicht. Das sei Terrorismus, und so wird es auch verfolgt.
Und wenn es schlecht läuft, fällt das Todesurteil direkt auf der Straße. Ohne Gericht, ohne Verhandlung. Todesursache: Deutsche Polizist:innen. Deren Schießwut ist nicht unglücklichen Umständen oder Überforderung geschuldet, sondern wird seit Jahren trainiert, und die gesetzlichen Hürden dafür immer weiter abgebaut. Dazu kommen die Taten der berüchtigten ,verwirrten Einzeltäter', über die deutsche Behörden lieber nicht zu viel wissen wollen. Die Liste der Namen derjenigen, die in Deutschland durch rassistische Polizeigewalt und rechte Anschläge getötet wurden, füllt Seiten.
Einer von ihnen starb vor 30 Jahren in Hannover. Sein Name ist unvergessen. Er steht für all jene Zumutungen, von denen hier die Rede ist. Denn sie sind seine Geschichte: Halim Dener
gefoltert
Anfang der 1990er Jahre kam es zum Aufstand der kurdischen Bevölkerung. Ein Aufstand, der vom türkischen Staat mit Krieg gegen die Zivilbevölkerung beantwortet wurde. 3500 zerstörte und niedergebrannte Dörfer, zerstörte zivile Infrastruktur, mehr als 3 Millionen Zivilist:innen auf der Flucht. Die Waffen für diesen Krieg lieferte Deutschland. Eine Praxis, die erst unterbrochen wurde, als Bilder von deutschen Panzern, mit denen kurdische Aktivist:innen durch die Straßen geschliffen wurden, an die Weltöffentlichkeit gelangten.
Einer von den vielen, deren Heimatdorf niedergebrannt, die in diesem Krieg festgenommen und gefoltert wurden, war der kurdische Jugendliche Halim Dener.
geflüchtet
Und so gehörte Halim Dener zu den mehr als 300.000 Menschen, die seit Ende der 1980er aus Kurdistan nach Deutschland fliehen mussten.
Doch das Land, in das er 1994 floh, war dasselbe Land, das schon Anfang der 1980er Jahre – nach dem Militärputsch – türkische Linke an die Türkei auslieferte. Es war dasselbe Land, in dem es 1992 zu den Pogromen und Anschlägen in Hoyerswerda, Rostock Lichtenhagen und Mölln kam, und dessen Antwort auf diese Eskalation der Gewalt die Einschränkung des Rechtes auf Asyl war.
verboten
Halim Dener floh in ein Land, in dem die Proteste der kurdischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung in ihrer Heimat mit einer beispiellosen Hetzkampagne und dem Verbot der PKK und all ihr nahestehenden Organisationen beantwortet wurden. Kurd:innen = PKK = Terrorist:innen war die Gleichung für eine innerstaatliche Feindeserklärung, die damals wie heute gegenüber den Kurd:innen, ihren Vereinen, Strukturen und Aktivist:innen gilt, und die ein Klima von Hass und Angst geschaffen hat.
erschossen
Diesen Anfeindungen und Repressionen zum Trotz setzte sich Halim auch in der BRD für die kurdische Bewegung ein. Er plakatierte schon wenige Wochen nach seiner Flucht in Hannover Poster mit dem Emblem der ERNK, des (damaligen) politischen Arms der PKK.
Dabei wurde Halim am 30. Juni 1994 von SEK-Polizisten in Zivil überrascht und bei der Festnahme in den Rücken geschossen. An eben dieser Schussverletzung starb Halim nur wenig später. Sinnbildlich für die Situation der in Deutschland lebenden Kurd:innen wurde der Schütze nach einem drei Jahre andauernden Prozess freigesprochen.
Berthold Brecht hat einmal geschrieben:
„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“
Der Tod Halim Deners zeigt: Auch das Erschießen durch einen deutschen Polizisten gehört dazu.
Wir demonstrieren und protestieren angesichts und gegen die Kriege dieser Welt. Wir beobachten, wie fortschrittliche Bewegungen weltweit unterdrückt und bekämpft werden, und wir stellen uns in internationaler Solidarität an ihre Seite. Wir sind nicht bereit, die Abschottungspolitik der Regierenden an den Außengrenzen hinzunehmen. Wir lehnen uns auf gegen die Repression und die Aushöhlung der Grundrechte. Wir sind traurig, zornig, wütend angesichts von rassistischer Polizeigewalt und rechtem Terror. Wir nehmen die Verbotspolitik nicht mehr hin.
Lasst uns überall dort, wo wir dies tun, Halim Dener und seine Geschichte lebendig werden lassen:
In unseren Aufrufen, Flugblättern und Reden. In unseren Liedern und Transparenten. In unseren Kämpfen und politischen Arbeiten.
Lasst uns zusammenkommen am 6. Juli in Hannover ‒ zur großen Demonstration zum 30. Todestag von Halim Dener. Lasst uns unsere KÄMPFE VERBINDEN und zeigen, dass die antirassistischen und internationalistischen Antworten auf die Krisen dieser Welt lebendig sind.
Zur Demonstration am 6. Juli rufen unter anderem kurdische, linke, feministische und ökologische Organisationen auf. Den Aufruf mit aktuellen Unterzeichner:innen kann hier eingesehen werden:
https://halimdener.blackblogs.org/2024/03/08/kampagne-halim-dener/