Im Rahmen der internationalen Kampagne für die Freilassung von Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage haben am Samstag mehrere Demonstrationen der kurdisch-internationalistischen Jugendbewegung in verschiedenen Ländern stattgefunden, auch im deutschen Bundesgebiet. Angeführt wurden die Demonstrationen von der Bewegung kämpferischer junger Frauen (Jinên Ciwan ên Têkoşer, TekoJIN) und der Revolutionären Jugendbewegung (Tevgera Ciwanên Şoreşger, TCŞ). Die Organisationen fordern sofortigen Zugang des Anwaltsteams und von Familienangehörigen zu dem in der Türkei inhaftierten Öcalan und schließlich seine Freilassung unter Bedingungen, die es ihm ermöglichen, eine Rolle bei der Suche nach einer politischen Lösung der kurdischen Frage zu spielen.
Hamburg
Ein Aufzug durch die Hamburger City startete am Hachmannplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Bevor die Demonstration loszog, hielt Emin Amed im Namen der kurdischen Jugendbewegung eine Ansprache. Der Aktivist thematisierte die Haftsituation Abdullah Öcalans, der auf der Gefängnisinsel Imrali seit Jahren vollständig von seiner Außenwelt abgeschottet wird. Dabei sei die Stimme des 74-Jährigen mehr denn je für einen Frieden und ein Ende der Diktatur in der Türkei notwendig, weil er der einzige politische Akteur mit einem Plan für die kurdische Frage sei, ohne deren Lösung auch das türkische Volk keinen Frieden finden könne. Die Jugend sehe sich verantwortlich für die Freiheit von „Rêber Apo” – wie Öcalan von Kurdinnen und Kurden genannt wird, weil er die „rote Linie” für das kurdische Volk sei, betonte Amed. „Deshalb wird unser Widerstand weitergehen, bis die Isolation des Repräsentanten der kurdischen Gesellschaft aufgehoben wird und seine Stimme nach außen dringt.“
Düsseldorf
Eine Demonstration durch Düsseldorf startete am DGB-Haus und führte durch die Innenstadt. Wie auch in Hamburg war ein weißes Fahnenmeer mit dem Konterfei Öcalans zu sehen, dazu ein großes Fronttransparent mit dem Motto der Kampagne. „Bê Serok Jiyan Nabe“, zu Deutsch „Kein Leben ohne den Vorsitzenden“ war eine der zentralen Parolen im Rahmen des Protests.
„Jungen Menschen fällt eine Voreiterrolle im Kampf für die Freiheit von Abdullah Öcalan zu“, erklärte ein Teilnehmer der Demonstration. Er rief Jugendliche, die nach einem Leben streben, dessen Grundlage Werte wie Frauenbefreiung, Basisdemokratie und gerechte Ökologie bilden, dazu auf, die weltweite Kampagne für die Freilassung von Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage zu unterstützen. „Ich spreche hier von den Grundprinzipien des von Öcalan vorgelegten Modells einer demokratischen Moderne. Uns alle hier eint der gemeinsame Wunsch, dass dieses Paradigma in die Praxis umgesetzt wird. Deshalb gehen wir auf die Straße.“
„Freiheit für Rojava“ in Bremen
In Bremen beteiligten sich Aktive der kurdischen Jugend an einer Demonstration mit dem Titel „Freiheit für Rojava“, um ihrer Forderung nach einem freien Öcalan Ausdruck zu verleihen. Organisiert von der Bremer Ortsgruppe der Initiative „Defend Kurdistan“, ging es bei dem Protest jedoch im Kern um die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien.
Seit Jahren lasse der türkische Staatschef Erdoğan die Region militärisch angreifen mit dem klaren und offenbaren Ziel, Kurd:innen zu verdrängen, hieß es. „Doch sowohl die deutsche Politik als auch die Medienlandschaft hierzulande ignorieren diese ungerechtfertigte Gewalt. Man will den Kriegsverbrecher vom Bosporus wohl nicht verärgern”, kritisierte eine Demonstrantin.
Alle Angriffe auf Rojava erfolgten mit dem fadenscheinigen Argument, „Terror” zu bekämpfen, in Wahrheit aber handele es sich um eine pure Verdrängung von Kurdinnen und Kurden und die türkische Besatzung von Teilen Syriens, hieß es weiter. Mit dem Argument der Terrorbekämpfung hatte Erdoğan im Oktober auch eine mehrtägige Luftoffensive gegen die Autonomieregion im Nordosten von Syrien durchführen lassen. Die Folge: Dutzende Todesopfer, zahlreiche Verletzte und eine zerstörte Infrastruktur. Dennoch herrsche großes Schweigen bei Politik und Medien. Das müsse kritisiert werden.
Frankfurt
An einer Demonstration in Frankfurt für die Freilassung von Abdullah Öcalan beteiligten sich auch Menschen aus Mannheim, Mainz, Darmstadt, Gießen, Hanau und Offenbach. Es wurde dazu aufgerufen, am 18. November in Berlin an einer Demonstration gegen das vor dreißig Jahren erlassene Betätigungsverbot der PKK in Deutschland teilzunehmen. Zu der Veranstaltungen unter dem Motto „PKK-Verbot aufheben – Demokratie stärken!“ mobilisiert die Kampagne „PKK-Verbot aufheben!”. Weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am kommenden Freitag zu einem Staatsbesuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin empfangen wird, beinhaltet der Demonstrationsaufruf inzwischen auch den Protest gegen die türkisch-nationalistische und islamistische Einflussnahme des Erdoğan-Regimes.
Stuttgart
In Stuttgart startete die Demonstration in der Lautenschlagerstraße. Dazu aufgerufen hatte die Bewegung kämpferischer junger Frauen (TekoJIN) und die Revolutionäre Jugendbewegung (TCŞ) gemeinsam mit dem Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrum e.V. Stuttgart (DTKM). An der Demonstration beteiligten sich auch die türkischen Linke und Gruppen wie Zusammen Kämpfen, OTKM, Rise up for Rojava, Partizan und die Partei DIE LINKE.
Während der Demonstration wurden durchgehend Parolen wie „Bijî Serok Apo", „Deutsche Waffen raus aus Kurdistan" und „Freiheit für alle politischen Gefangenen" gerufen. Die Demonstrant:innen forderten ein Ende der unmenschlichen Behandlung politischer Gefangener und die sofortige Freilassung von Abdullah Öcalan. Ebenso wurde in Redebeiträgen von der deutschen Bundesregierung ein Ende der Zusammenarbeit mit der Türkei verlangt. Die Demonstration endete auf dem Schlossplatz in Stuttgart-Mitte.
Wien
Weitere Demonstrationen im Rahmen der Öcalan-Kampagne fanden unter anderem in Österreichs Hauptstadt Wien sowie in Zürich und Lausanne in der Schweiz statt. Auch in Italien, Belgien und Frankreich ist heute protestiert worden. Für Sonntag sind ebenfalls Demos angekündigt.
Öcalan unterliegt Incommunicado-Haft
Am 15. Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan, Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung und Gründer der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK), im Rahmen einer internationalen Geheimdienstoperation aus der griechischen Botschaft in Kenias Hauptstadt Nairobi verschleppt und völkerrechtswidrig an die Türkei übergeben. Seitdem sitzt er auf der Gefängnisinsel Imrali in politischer Geiselhaft – die meiste Zeit davon in Isolation. Seit mehr als zweieinhalb Jahren wird diese Form der Haft vom türkischen Staat als illegale Incommunicado-Haft praktiziert. In Incommunicado-Haft unterliegen Inhaftierte nicht nur einer vollständigen Isolation, sondern auch einer absoluten Kontaktsperre. Das letzte Treffen mit seinem Verteidigungsteam hatte Öcalan im August 2019. Im März 2021 gab es dann noch ein minutenkurzes Telefongespräch mit seinem Bruder Mehmet Öcalan. Seither wird jeder Kontakt von den türkischen Behörden verhindert und es gibt kein eindeutiges Lebenszeichen von ihm. Dieser Umstand steht exemplarisch für das auf Imrali praktizierte Foltersystem des türkischen Staates.