In der westtürkischen Metropole Istanbul sind mit Deniz Aktaş und Ebru Yiğit zwei führende Mitglieder der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) festgenommen worden. Die überfallartige Razzia in der Nacht zum Donnerstag in einer Wohnung im Stadtteil Gazi wurde von einer „Spezialeinheit zur Terrorismusbekämpfung“ durchgeführt. Insgesamt wurden vier Personen festgenommen und in die Antiterrorzentrale der Istanbuler Polizeidirektion gebracht. Über die Ermittlungsakte wurde eine Geheimhaltungsverfügung verhängt, zudem hatte die Behörde ein 24-stündiges Anwaltsverbot erwirkt. Einen Tag lang wurde den Betroffenen somit der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt. Ihre Angehörigen wurden über die Festnahme nicht in Kenntnis gesetzt.
Wie die ESP mitteilte, fand die Razzia im Wohnhaus von Nurcan Gülbudak statt. Sie ist Witwe des kurdischen Aktivisten Sezgin Dağ, der 2015 den IS-Anschlag in Pirsûs (tr. Suruç) überlebte, im November 2020 jedoch im schweizerischen Lyss starb, wo er als Geflüchteter in einem Asylzentrum lebte. Laut der ESP hielten sich Aktaş und Yiğit, die zugleich Mitglieder im Exekutivrat des Sozialistischen Frauenrats sind, als Gäste bei Gülbudak auf. Die mehrstündige und akribische Hausdurchsuchung sei nicht auf Video dokumentiert worden, außerdem sei im Verlauf der Razzia ein Sprengstoff-Team zur Wohnung ausgerückt.
Die ESP beklagt darüber hinaus, dass ihre weiblichen Mitglieder auf dem Revier im Beisein männlicher Beamter einer entwürdigenden Nacktdurchsuchung unterzogen worden seien. „Die Art der Vorgehensweise der Istanbuler Polizeibehörde zeichnet eindeutig das Bild eines versuchten Komplotts gegen sozialistische Menschen“, betont die Partei. Dieses Vorgehen reihe sich ein in den „traditionell illegalen Umgang“ mit der ESP, darunter polizeilich und medial durchgeführte Kriminalisierungskampagnen, sowie Maßnahmen wie etwa „faktischen Notstandsverordnungen in Gazi“, Eingriffe in den Privatbereich aller Andersdenkender, Übergriffe auf streikende Arbeiterinnen und Arbeiter oder Verbote von Mahnwachen für politische Gefangenen.
„All diese Gewalt ist nicht unabhängig von der Politik des faschistischen AKP/MHP-Regimes, das dieses Land in seinem Überlebenskampf in eine bedrückende Kulisse des Schweigens verwandelt hat“, erklärt die ESP. Sie fordert die umgehende Freilassung ihrer festgenommenen Mitglieder und ruft die demokratische Öffentlichkeit zur Solidarität auf.
ESP – Mitgliedspartei der HDP
Die ESP ist insbesondere mit den Gezi-Protesten 2013 bekanntgeworden. Eines ihrer Gründungsmitglieder ist die inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ. 2014 schloss sich die ESP der als Dachpartei fungierenden HDP (Demokratische Partei der Völker) an. Am 20. Juli 2015 wurde auf ihre Jugendorganisation, die Föderation Sozialistischer Jugendvereine, ein Bombenattentat verübt. Bei dem IS-Anschlag in Pirsûs in der nordkurdischen Provinz Riha (Urfa) kamen 33 hauptsächlich junge Menschen ums Leben. Die Aktivist:innen hatten sich im Kulturzentrum Amara versammelt und wollten vor ihrer Abreise nach Kobanê eine Pressekonferenz abhalten. Die geplante Fahrt nach Nordsyrien sollte ein Akt der Solidarität sein. Die Jugendlichen wollten Kinderspielzeug und humanitäre Hilfsgüter in die vom IS zerstörte Stadt bringen. 104 weitere Menschen wurden bei dem Anschlag verletzt.