Der im US-Exil lebende türkische Prediger Fethullah Gülen ist tot. Er starb im Alter von 83 Jahren in einem Krankenhaus im US-Bundesstaat Pennsylvania, teilte die Website Herkul, die Gülens Predigten veröffentlicht, auf X mit. Laut dem türkischen Sender NTV litt der einstige Erdoğan-Freund an Demenz sowie Nierenversagen und Diabetes. Die Berliner Stiftung Dialog und Bildung, die ein Ableger der transnationalen „Hizmet-Bewegung“ Gülens ist und in Deutschland unter anderem Schulen, Nachhilfezentren und Kindergärten betreibt, bestätigte den Tod ebenfalls.
Gülen wurde von der türkischen Regierung beschuldigt, hinter einem Putschversuch gegen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2016 gesteckt zu haben. Gegen 700.000 mutmaßliche Gülen-Anhänger wurden Verfahren eingeleitet, etwa 3.000 von ihnen wurden wegen der Beteiligung an dem angeblichen Coup zu lebenslanger Haft verurteilt. Rund 150.000 Staatsbedienstete an den Universitäten, im Sicherheits-, Verwaltungs- und Justizapparat wurden damals entlassen – nicht nur Gülen-Anhänger. Kritiker:innen warfen der Regierung vor, den vermeintlichen Putschversuch und den danach verhängten Ausnahmezustand als Vorwand für eine große Säuberungswelle missbraucht zu haben, um sämtliche Regierungsgegner:innen aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen und auch gegen die kurdische Opposition, kritische Journalist:innen und unabhängige Wissenschaftler:innen vorzugehen.
Gülen, einst Weggefährte Erdoğans, hatte sich 2013 mit diesem überworfen. Die Spannungen zwischen beiden eskalierten, als Korruptionsermittlungen gegen Minister und Beamte aus dem Umfeld Erdoğans ans Licht kamen. Staatsanwälte und Polizisten aus Gülens Hizmet-Bewegung galten als diejenigen, die hinter den Ermittlungen standen. Gülen hatte bereits Ende der 1960er Jahre damit begonnen, ein Netz von Bildungsstätten und Medienunternehmen aufzubauen; seine in Teehäusern gehaltenen Predigten verbreiteten sich damals per Ton- und Videokassetten. Von ihm errichtete Studierendenwohnheime waren der Beginn seines Netzwerks, das sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte in Bildungs-, Wirtschafts-, Medien- und Staatsinstitutionen ausbreitete und seinen Anhängern großen Einfluss verlieh.
In der Öffentlichkeit vertrat Gülen einen moderaten Islam, befürwortete zugleich die Bildung in Geistes- und Naturwissenschaften, um mit dem Westen konkurrieren zu können. Nach Innen propagierte er islamischen Chauvinismus. 2014 wurde in der Türkei ein Haftbefehl gegen den seit 1999 in den USA lebenden Prediger erlassen, zwei Jahre später wurde seine Bewegung als „Fetullahistische Terrororganisation“, kurz FETÖ, eingestuft. Die Türkei forderte von den USA mehrfach die Auslieferung des Predigers. 2017 wurde Gülen die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt.
Der deutsche Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom widersprach 2017 der Einschätzung der türkischen Regierung, die Gülen-Bewegung sei terroristisch. Er schloss auch die Gülen-Bewegung als Verursacher des Putschversuchs in der Türkei aus. In Wahrheit sei der ganze Putsch ein „Pseudoputsch“ und von Erdoğan selbst inszeniert, um als Legitimation für die Ausschaltung seiner politischen Gegner:innen zu dienen, sagte Schmidt-Eenboom in einer Sendung von Maybrit Illner. Demokratisch sei die Bewegung Gülens aber nicht.
Güvercin: Alles andere als demokratisch
Kritisch über Gülen äußerte sich auch der Türkei-Experte und Journalist Eren Güvercin. „Ohne Gülens Kader im Justiz- und Polizeiapparat hätte Erdoğan die Demokratie und den Rechtsstaat in der Türkei nicht aushöhlen können“, schrieb Güvercin am Montag auf X. „Insbesondere bei der Inhaftierung von Journalisten und Verfolgung der demokratischen Opposition hat die Gülen-Gruppierung maßgeblich mitgewirkt.“
„Nach einem Machtkampf zwischen Gülen und Erdoğan kam es zu einem Bruch, viele Gülen-Anhänger setzten sich ins Ausland ab und inszenierten sich seitdem als vermeintliche Verteidiger der Demokratie und Menschenrechte“, so Eren Güvercin. „Bei aller erbitterten Feindschaft zwischen Gülen und Erdoğan waren er und seine Gruppierung alles andere als demokratisch.“