„Intensität der Repression gegen kurdischen Aktivismus auf neuem Höhepunkt“

In Hamburg haben die Berliner Rechtsanwältin Antonia v. d. Behrens und ihr zypriotischer Kollege Efstathious C. Efstathiou über den Fall Kenan Ayas berichtet. Der kurdische Aktivist war im Juni von Zypern an Deutschland ausgeliefert worden.

In Hamburg hat am Sonntagabend eine Informationsveranstaltung über den Fall des kurdischen Aktivisten Kenan Ayas (Ayaz) stattgefunden. Der 49-Jährige war im vergangenen März auf Grundlage eines deutschen Auslieferungsersuchens auf Zypern verhaftet und Anfang Juni an die deutsche Justiz überstellt worden. Die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden beschuldigen Ayas der Mitgliedschaft in der PKK, weshalb er gemäß §129a/b Strafgesetzbuch (StGB) angeklagt wurde. Angeblich habe er zwischen 2018 und 2020 verschiedene „PKK-Gebiete“ in Deutschland verantwortlich geleitet, darunter das Gebiet Hamburg. Seit seiner Auslieferung sitzt Ayas in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis ein – verbunden mit einem strengen Haftstatut, das teilweise Isolationshaft und eine ständige Überwachung seines Besuchs, einschließlich dem seiner Verteidigung, beinhaltet.

Solidarität durch Briefe zeigen

Zu dem Info-Abend im Centro Sociale hatte das „Solidaritätskomitee Free Kenan“ eingeladen. Ayas‘ zypriotischer Anwalt Efstathious C. Efstathiou berichtete unter anderem vom Kampf gegen die Auslieferung seines Mandanten an die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden, seine Berliner Verteidigerin Antonia von der Behrens sprach über das hiesige Verfahren. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Cansu Özdemir, Ko-Vorsitzende der Hamburger Linksfraktion. Sie sprach über die Herausforderungen der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland und betonte, dass die derzeitige Intensität der Repression gegen kurdischen Aktivismus seit Einführung des sogenannten PKK-Verbots 1993 einen neuen Höhepunkt erreicht habe. Die politische und juristische Situation lasse zu, dass Menschen, die sich in kurdischen Organisationen engagieren, mit Abschiebungen gedroht wird, dass Jugendämter in Familien mit der Begründung der Kindeswohlgefährdung erscheinen oder Ausbildungsplätze in Behörden verweigert werden, erklärte Özdemir. Gerade deshalb sei es wichtig, sich ein Vorbild an der zypriotischen Zivilgesellschaft zu nehmen, die sich mit Kenan Ayas und anderen kurdischen Aktivisten vor Ort solidarisiere. Zudem rief sie dazu auf, den voraussichtlich am 3. November in Hamburg beginnenden Prozess gegen Ayas zu begleiten und die Solidarität mit ihm auch über das Schreiben von Briefen auszudrücken.

Repression nach deutschen Gesetzen wird in anderen Ländern durchgesetzt

Rechtsanwältin Antonia von der Behrens berichtete anschließend davon, dass das Mittel des europäischen Haftbefehls instrumentalisiert würde, um in anderen Ländern die Repression nach deutschen Gesetzen durchzusetzen. Die Auslieferung von Kenan Ayas in die Bundesrepublik sei ein eindeutiges Beispiel. In Ländern wie Zypern oder auch Belgien gäbe es weder ein Verbot der PKK, noch würde die Mitgliedschaft in jener als „terroristischer Akt“ gelten. Die PKK würde in diesen Ländern als „Partei eines bewaffneten Konfliktes“, in dem Fall mit der Türkei gesehen. Man müsse sich gegen diese Verfahren vernetzen und wie die zypriotische Zivilgesellschaft Widerstand leisten.

Prozess auf Zypern entfaltete sich zu einem sozialen Phänomen

Rechtsanwalt Efstathious C. Efstathious legte den Fokus auf die Ereignisse nach Ayas‘ Festnahme auf Zypern. Das Verteidigungskomitee, zu dem der Jurist gehört, hatte beim Supreme Court in Nikosia, dem obersten Gericht Zyperns, alle Rechtsmittel eingelegt, um eine Überstellung des kurdischen Aktivisten an Deutschland zu verhindern. Während der drei Monate des Verfahrens formierte sich eine breite Bewegung auf der griechischen Insel, die sich gegen die Auslieferung von Ayas stellte und die ein großes Medienecho erfuhr. „Es gab eine enorme Solidarität der zypriotischen Zivilgesellschaft und der kurdischen Community, die vor allem von jungen Menschen ausging. Der gesamte Prozess entfaltete sich zu einem sozialen Phänomen“, sagte Efstathious. Er berichtete von Hungerstreiks vor dem Justizgebäude und großen Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmenden. Das große Engagement begründete der Jurist mit der „gemeinsamen Vision“, die Kurd:innen und Zypriot:innen teilen würden. Ein erheblicher Teil der zypriotischen Bevölkerung steht auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrung mit den türkischen Unrechtsregimen dem kurdischen Freiheitskampf positiv gegenüber. Wie Efstathious weiter ausführte, seien auch staatsnahe Politiker:innen an den Protesten für Ayas beteiligt gewesen. Hierzulande, so vermutete er, wäre dies aufgrund der politischen Nähe Deutschlands zur Türkei und des darauf resultierenden PKK-Verbots unvorstellbar.

Menschenrechtsbeobachtungszentrum für Kenan Ayas

Der Abschiebung von Kenan Ayas aus Zypern nach Deutschland hatte das griechische Gericht am 16. Mai unter zwei Auflagen zugestimmt: Erstere versicherte laut Efstathious, dass auch bei einem Urteil gegen den Angeklagten unter keinen Umständen eine Auslieferung an die Türkei stattfinden dürfe. Zweitere solle versichern, dass im Fall einer Verurteilung die Haftstrafe in Zypern und nicht in Deutschland abgesessen werden soll. Efstathious und andere Personen aus dem Verteidigungskomitee gründeten nach dem Beschluss ein Menschenrechtsbeobachtungszentrum allein für den Fall Kenan Ayas, das plant, in Hamburg jeden Prozesstag zu beobachten, ob das Verfahren nach den internationalen Menschenrechtsstandards durchgeführt wird.

Mobilisierung und Sichtbarmachung der Repression

Die drei Referent:innen betonten abschließend noch einmal, wie wichtig die zivilgesellschaftliche Solidarität in diesem Fall sei und dass sich ein Beispiel an den zypriotischen Aktivist:innen genommen werden könne. Bis zum Prozess im November würde es nicht mehr lange dauern, also sollten die Solidaritätsaktionen für den politischen Gefangenen zügig organisiert werden. Sie bekräftigten, dass gerade das Erscheinen im Gerichtssaal an den Prozesstagen und eine generelle Mobilisierung und Sichtbarmachung der Repressionen dem Aktivisten sehr helfen würde. Rechtsanwältin von der Behrens schloss mit den Worten ab: „Ich hoffe, dass wir es schaffen. Wir haben hier in Hamburg seit zehn Jahren 129b-Verfahren. Es reicht jetzt!“

Abschließend wurde noch auf die Solidaritätsaktion zum ersten Todestag von Jina Mahsa Amini am 16. September 2023 um 12 Uhr an der S-Bahn Sternschanze und auf die Demonstration am 4. November 2023 vom Bündnis gegen Repression um 13 Uhr am Hansaplatz hingewiesen.