Regierung putscht gegen Volkswillen
Der in der Türkei verhaftete Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu, ist nun auch abgesetzt worden. Das türkische Innenministerium teilte mit, dass der CHP-Politiker „von seinen Aufgaben suspendiert“ wurde. Es wird erwartet, dass der Stadtrat von Istanbul, in dem die CHP die Mehrheit hat, am kommenden Mittwoch eine:n amtierende:n Bürgermeister:in wählen wird. Die Amtsgeschäfte im Rathaus übernimmt seit der Festnahme Imamoğlus kommissarisch der Stadtverordnete Nuri Aslan.
Auch zwei Bezirksbürgermeister abgesetzt
Neben Imamoğlu wurden auch die Istanbuler Bezirksbürgermeister der CHP, Resul Emrah Şahan sowie Mehmet Murat Çalık vom Innenministerium abgesetzt. Anstelle von Şahan, der den Stadtteil Şişli regierte, setzte die Führung in Ankara bereits einen AKP-Beamten als Zwangsverwalter ein. Für Çalık, der Bürgermeister von Beylikdüzü ist, soll in den nächsten Tag ebenfalls ein amtierender Vertreter gewählt werden.
Imamoğlu war am Sonntagmorgen wegen mutmaßlicher Korruption inhaftiert worden. Die Staatsanwaltschaft strebte überdies die Anordnung von Untersuchungshaft auch wegen Terrorismusvorwürfen an, was die Richter ablehnten – bisher. Die Behörde hat bereits mitgeteilt, Beschwerde gegen die Entscheidung einzulegen. Neben Imamoğlu wurde insgesamt gegen 23 Mitbeschuldigte Untersuchungshaft verhängt, darunter einer der engsten Berater des Oppositionspolitikers.
Die CHP übte scharfe Kritik an dem Vorgehen und nannte es einen „zivilen Putsch“, mit dem Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan seinen schärfsten Konkurrenten ausschalten wolle. Die Vorwürfe basierten auf fingierten Fakten, hieß es. Auch die DEM-Partei kritisierte das Vorgehen und sprach von einem „routinierten Putschmechanismus“, der vom Regime in Ankara gegen die Opposition eingesetzt werde.
„Mobile Guillotine“ führt Ermittlungen
Die Ermittlungen gegen Imamoğlu führt die Istanbuler Staatsanwaltschaft. Der Vorsitzende Generalstaatsanwalt Akın Gürlek ist aus diversen politisch motivierten Verfahren bekannt und wird von der Opposition wegen seines repressiven Vorgehens gegen Andersdenkende als „mobile Guillotine“ bezeichnet. Gürlek war einst der Richter, der das scharf kritisierte Hafturteil gegen den ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş verhängte. Imamoğlu wird in einem anderen Verfahren Beleidigung Gürleks vorgeworfen.
Universitätsdiplom aberkannt
Über Imamoğlu und seiner Partei schweben zahlreiche Verfahren – auch der CHP selbst droht die Einsetzung eines Zwangsverwalters. Vor seiner Festnahme, die am Mittwoch erfolgt war, wurde ihm zudem auch sein Universitätsabschluss aberkannt – wegen angeblicher Fehler. Wer in der Türkei Präsident werden möchte, braucht jedoch ein Hochschuldiplom. Imamoğlu, der größte politische Gegner Erdoğans, soll so offenbar von einer Kandidatur bei der nächsten Präsidentschaftswahl ausgeschlossen werden. Die Annullierung seines Diploms ist noch nicht endgültig.
17 Bürgermeister:innen abgesetzt
In der Türkei stehen zahlreiche Rathäuser unter Zwangsverwaltung. Nur vier der seit der Kommunalwahl im März vor einem Jahr abgesetzten 17 Bürgermeister:innen werden von Parteigänger:innen vertreten, mehrere befinden sich im Gefängnis. In den übrigen Fällen regieren vom Innenministerium ernannte Beamte als sogenannte Treuhänder anstelle der rechtmäßig gewählten Bürgermeister:innen. Bei zwölf der zwangsverwalteten Gemeinden handelt es sich um Kommunen, die von der DEM-Partei gewonnen worden waren. Die Absetzung des Bürgermeisters der 6-Millionen-Metropole Istanbul ist ein beispielloser Vorgang.