Der in Wales im Exil lebende Schriftsteller Gökhan Yavuzel ist in einem öffentlichen Park von vier Türkisch sprechenden Personen angegriffen worden. Sein Name steht mit vielen weiteren Oppositionellen aus der Türkei auf einer kürzlich auf Twitter verbreiteten Todesliste. Davon hatte er drei Tage vorher die Polizei informiert.
Gökhan Yavuzel ist als Romanautor und Dichter Mitglied bei PEN International und 2018 nach einer Hetzkampagne und Drohungen in der Türkei nach Wales gezogen. Als sein Name in einer Abschussliste auftauchte, die kürzlich auf einem Twitter-Account namens „jitemkurt" veröffentlicht wurde, informierte er seine örtliche Polizeistation.
Gegenüber Artı Gerçek sagte Yavuzel, er sei an einem abgelegenen Ort in einem Park in der Nähe seines Hauses angegriffen worden. „Jemand schlug mir zuerst in den Rücken. Ich glaube, es waren vier von ihnen. Sie fingen an, mir in den Rücken zu treten, als ich hinfiel. Ich war einen Moment lang ohnmächtig. Sie haben mich alle beschimpft. Sie sprachen auf Türkisch. Sie drohten mir und sagten: ,Die Zeit wird auch für die anderen kommen.' Sie beschimpften mich als ,staatenlos und verachtenswert' und sagten: ,Wir könnten euch alle umbringen, wenn wir wollten. Du verdienst viel Schlimmeres als das hier.' Dann erhielt ich einen harten Schlag auf das Auge und einen weiteren auf meine linke Augenbraue. Ich versuchte, ihre Schläge mit meinen Händen abzuwehren. Einer von ihnen hatte einen kleinen Knüppel."
Yavuzel postete direkt nach dem Angriff auf Twitter: „Ich wurde heute von vier Personen angegriffen. Die Polizei kam, dann ein Krankenwagen. Nachdem ich auf der Polizeiwache eine Aussage gemacht hatte, wurde ich bei mir zu Hause abgesetzt. Ich habe auch blaue Flecken auf dem Rücken... Ihr Widerlinge, die ihr uns mit dieser ,Abschussliste' zur Zielscheibe in den Medien gemacht habt, ihr werdet dafür bezahlen."
Systematische Datensammlung für Angriffe auf Regierungskritiker
Die deutsche Bundesregierung hat die Existenz von mehreren Listen mit Namen von Exil-Oppositionellen gegen das Erdoğan-Regime bestätigt. Am 8. Juli war der Journalist Erk Acarer vor seiner Wohnung in Berlin angegriffen worden, er steht inzwischen unter Polizeischutz. Am 16. Juli besuchte die Polizei den Journalisten Celal Başlangıç in seiner Frankfurter Wohnung, um ihn vor der Abschussliste zu warnen. Am Wochenende machte dann der kurdische Musiker Ferhat Tunç bekannt, von der Polizei Darmstadt darüber informiert worden zu sein, dass sich sein Name auf einer Todesliste befindet. Auch der kurdische Politiker und ehemalige HDP-Abgeordnete Hasip Kaplan äußerte, von deutschen Sicherheitsbehörden aufgrund der Causa kontaktiert worden zu sein.
Die Linkspolitikerin Helin Evrim Sommer, die das Bundesinnenministerium zu den aktuellen Vorfällen gefragt hatte, erklärte dazu gegenüber ANF: „Die Hinrichtungslisten von Erdogans gewaltbereiten Handlagern in Deutschland dürfen nicht als zusammenhangslose Einzellisten begriffen werden. Sie sind viel mehr eine systematische Datensammlung für faschistische Angriffe auf Regierungskritiker aus der Türkei. Damit sollen politische Gegner nicht nur eingeschüchtert, sondern auch öffentlich markiert werden. Die Bundesregierung muss dem Terrornetzwerk von Erdogan in Deutschland endlich das Handwerk legen!"
Sommer fordert die Einbestellung des türkischen Botschafter, weil auch die innere Sicherheit Deutschlands gefährdet sei. Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sieht eine gefährliche Grenze überschritten. DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall forderte am Freitag: „Heiko Maas muss dem türkischen Botschafter unmissverständlich klar machen, dass hier eine Grenze überschritten wird und dass Drohungen und Gewalt gegen Journalisten, die hier Zuflucht vor dem repressiven Regime der Türkei gefunden haben, inakzeptable Straftaten sind.“
„Erkenntnisverdichtung dauert an“
In der Antwort der Bundesregierung vom 22. Juli auf die Anfrage von Helin Evrim Sommer heißt es: „Die Erkenntnisverdichtung dauert gegenwärtig an. Sofern Erkenntnisse zu möglichen Gefährdungssachverhalten wie in diesem Fall bekannt werden, gehen die Bundesicherheitsbehörden diesen im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten mit Nachdruck nach. Dabei findet ein enger und unmittelbarer Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder statt. Die Prüfung, ob und inwieweit Personengruppen oder einzelne Personen konkret gefährdet sind und daher bestimmte polizeiliche Schutzmaßnahmen erforderlich werden, obliegt grundsätzlich den Ländern. Diese bewerten die entsprechende Gefährdungslage in eigener Zuständigkeit und führen ggf. entsprechende Sensibilisierungsgespräche durch bzw initiieren im Einzelfall angemessene Schutzmaßnahmen für die betreffenden Personen durch die jeweils örtlich zuständigen Landespolizeibehörden.“