HDP: Gergerlioğlu ist nicht allein!
Die HDP bewertet das Urteil gegen ihren Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu als politisch motiviert. Der kritische Politiker soll in der Türkei zum Schweigen gebracht werden.
Die HDP bewertet das Urteil gegen ihren Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu als politisch motiviert. Der kritische Politiker soll in der Türkei zum Schweigen gebracht werden.
Der türkische Kassationshof hat am Freitag die zweieinhalbjährige Haftstrafe gegen den HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu wegen Terrorpropaganda bestätigt. Wird das Urteil im Parlament verlesen, verliert der Politiker sein Mandat. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) erklärt in einer Stellungnahme zu dem Urteil, dass es juristisch in keiner Weise nachvollziehbar und nur durch der Regierung zustande gekommen ist.
So beanstandet die HDP, dass das Gerichtsverfahren hätte gestoppt werden müssen, nachdem Gergerlioğlu mit seiner Wahl zum Abgeordneten Immunität erlangt hat. „Stattdessen ist das Verfahren fortgesetzt und das Urteil bestätigt worden“, heißt es in der Stellungnahme. Damit seien Verfassung und Gesetzgebung sowie internationale Konventionen verletzt worden. Der Kassationshof habe mit dem Urteil auch seiner eigenen Rechtssprechung widersprochen, so die HDP: „Der Grund dafür sind politische Motive und der Druck der Regierung.“
Grundlage der Anklage gegen Gergerlioğlu war eine Friedensbotschaft. Der Politiker, der von Beruf eigentlich Arzt und Spezialist für Lungenkrankheiten ist, engagierte sich nach den einseitig von der türkischen Regierung beendeten Friedensverhandlungen mit der kurdischen Bewegung im Jahr 2015 für die Friedensplattform in Kocaeli. Bei den Social-Media-Konten der Initiative veröffentlichte Gergerlioğlu nahezu täglich Friedensbotschaften, so auch am 9. Oktober 2016. An diesem Tag postete er ein Foto, das eine gestellte Szene während einer Veranstaltung zum Weltfriedenstag 2015 zeigte: zu sehen sind mehrere Frauen und im Vordergrund zwei Särge. Im einen ein türkischer Soldat, im anderen ein PKK-Kämpfer, die durch entsprechende Fahnen auf den Särgen zu erkennen sind. Unter das Bild schrieb Gergerlioğlu: „Dieser Krieg erschöpft die Gesellschaft. Ein Kind geht zur Armee, ein anderes zur PKK, beide sterben. Wäre es nicht besser, die beiden würden nicht als Leichen nebeneinander liegen, sondern gleichberechtigt leben, Schulter an Schulter?“
Daraufhin geriet Gergerlioğlu auf den Radar rechter Journalisten und Politiker, die eine Hetzkampagne gegen ihn anzettelten. In derselben Woche wurde ein Verfahren gegen den Arzt eröffnet, anschließend folgte die Aussetzung seines Beamtenstatus, die in eine Entlassung per Notstandsdekret mündete. Im Verlauf des 2017 angestrengten Ermittlungsverfahrens tauchten schließlich weitere „Beweise“ gegen den 55-Jährigen auf: Die Staatsanwaltschaft überprüfte rückwirkend für ein halbes Jahr die Artikel Gergerlioğlus, die er damals für die Onlinezeitung T24 geschrieben hatte, und ließ unter anderem ein Zitat („Wenn der Staat einen Schritt auf uns zugehen würde, käme schon in einem Monat Frieden“) aus einer PKK-Erklärung mit in die Anklage einfließen. Obwohl es sich nachweislich nicht um eine Aussage des Politikers handelte, wurde sie dennoch als Terrorpropaganda gewertet. Ebenso eine Kolumne mit dem Titel „Frieden für Kolumbien – Warum geht das nicht auch in der Türkei?“. Im Januar 2019 wurde der Politiker verurteilt.
Dass Gergerlioğlu aufgrund des Teilens einer bereits veröffentlichten Meldung wegen Propaganda für eine terroristische Vereinigung verurteilt worden ist, widerspricht nach Auffassung der HDP der Rechtssprechung in der Türkei und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: „Gergerlioğlu ist zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er einen Link geteilt. Die AKP/MHP-Regierung will damit unseren Abgeordneten, der ohne Unterschied die Menschenrechte aller Gruppen verteidigt, sowie die Bevölkerung in seinem Wahlkreis Kocaeli bestrafen. Sie will verhindern, dass ihre Menschenrechtsverletzungen öffentlich gemacht werden.“
Für die HDP steht fest, dass Gergerlioğlu zum Schweigen gebracht werden soll, weil er konsequent Menschenrechtsverletzungen in der Türkei thematisiert. „Wir erklären ein weiteres Mal, dass wir trotz der menschenrechts- und demokratiefeindlichen Regierung unseren Kampf für Frieden und Gerechtigkeit nicht aufgeben werden. Gergerlioğlu ist nicht allein!“, heißt es abschließend in der Erklärung der HPD.
Sollte Ömer Faruk Gergerlioğlu im Parlament sein Mandat aberkannt werden, bleiben ihm sieben Tage Zeit, vor den Verfassungsgerichtshof zu ziehen. Dieses muss dann binnen zwei Wochen eine Entscheidung treffen. Erst am Wochenende war gegen den Politiker im Eiltempo ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, diesmal wegen Verstoß gegen den sogenannten Türkentüm-Paragrafen. Hintergrund ist Kritik an der Bombardierung eines Lagers im südkurdischen Guerillagebiet Gare durch die türkische Armee mit dreizehn toten Kriegsgefangenen der PKK.