Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat den HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioğlu als Mitglied der als FETÖ („Fethullahistische Terrororganisation”) in der Türkei verfolgten Bewegung des Predigers Fethullah Gülen bezeichnet und ihn einen „Terroristen“ genannt. Die Justiz wies er an, „das Nötige“ gegen den 55-Jährigen zu tun. Hintergrund der Hetze ist die Publikmachung entwürdigender Nacktdurchsuchungen in Polizeigewahrsam und in Haft durch Gergerlioğlu. Gegen den Parlamentsabgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) wurde jüngst sogar Strafanzeige wegen Verleumdung erstattet. Die AKP-Vizefraktionsvorsitzende Özlem Zengin behauptete, Gergerlioğlu würde mit seinen „Lügen“ das Parlament „terrorisieren“.
Die Regierungskoalition aus der islamistischen Erdogan-Partei AKP und der rechtsextremen MHP leugnet, dass es in Revieren zu entwürdigenden Polizeipraktiken kommt. Offiziell erlaubt das türkische Strafvollzugsgesetz lediglich, dass im „streng geprüften Einzelfall“ die mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung einer*s Strafgefangenen nur durch gleichgeschlechtliche Bedienstete erfolgt und in einem Raum stattfindet, dessen Türen geschlossen sind, in dem keine Mitgefangenen anwesend sind und den diese während der Durchsuchung auch nicht betreten können, um das Schamgefühl der zu durchsuchenden Person zu schonen.
Staatlich orchestrierte Diffamierungskampagne
Doch seit der staatlich gelenkten Diffamierungskampagne gegen Gergerlioğlu gehen immer mehr Frauen an die Öffentlichkeit, die von gegenteiligen Erfahrungen auf Polizeiwachen berichten. So äußerten etliche Frauen gegenüber kritischen Medien sowie Online-Netzwerken wie Twitter, dass sie sich in Polizeigewahrsam in Räumen mit männlichen Beamten wahlweise hinhocken oder stehend vornüberbeugen mussten, und optische Untersuchungen der Körperhöhlen im Intimbereich über sich ergehen lassen mussten. Bei vielen dieser Frauen handelte es sich um Studentinnen, die vergangenen September in der westtürkischen Provinz Uşak bei einer Operation gegen vermeintliche FETÖ-Mitglieder vorübergehend festgenommen worden waren. Die türkische Regierung beschuldigt die Bewegung des früheren Verbündeten und jetzigen Erzrivalen Erdogans, Fethullah Gülen, hinter dem Putschversuch vom Sommer 2016 zu stecken. In Gefängnissen gehört die teils gewalttätige Nacktdurchsuchung seit Jahren zu den gängigen Methoden, die aus politischen Gründen inhaftierten Gefangenen zu demütigen oder bloßzustellen.
Gergerlioğlu: Der Kaiser ist nackt
„Ich möchte mich nicht auf dieses Niveau herablassen“, sagte Ömer Faruk Gergerlioğlu am Donnerstag mit Blick auf die Beleidigungen durch den türkischen Innenminister. „Ich bin ein Verfechter der Menschenrechte und als solcher verteidige ich Opfer, die ihrer Rechte beraubt werden.“ Die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit oder politische Gesinnung der Entrechteten sei für ihn nicht relevant, führte Gergerlioğlu, der ausgebildeter Arzt ist, weiter aus. Die Diffamierungskampagne gegen ihn sei eine Reaktion der Regierung, weil er feststellte, der Kaiser sei nackt.
EGMR-Urteil „nicht beachtenswert“
In derselben Rede bezeichnete Süleyman Soylu den Ex-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş, erneut als „Terroristen“. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der am Dienstag die sofortige Freilassung des seit über vier Jahren in der Türkei inhaftierten Politikers anordnete, sei nicht beachtenswert. Nicht nur Demirtaş, „auch seine Brüder und Freunde“ seien Terroristen, weil sie der „ideologischen PKK-Struktur“ mit einem politischen Schutzmantel zur Legitimität verhalfen wollten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat dem EGMR nach dem Urteil zur Freilassung des kurdischen Politikers Scheinheiligkeit vorgeworfen. Dass das Gericht die Freilassung einer Person anordne, die eine Terrororganisation unterstütze, sei „Doppelmoral und Scheinheiligkeit“, sagte Erdogan. Die Entscheidung sei politisch motiviert, das Gericht stelle sich damit offen hinter einen „Terroristen“.