Häusliche und sexualisierte Gewalt ist ein Männerproblem. Nur indem Männer Verantwortung übernehmen und ihr Verhalten ändern, kann das Problem der Gewalt gegen Frauen und Mädchen gelöst werden. „Statt Frauen zu empfehlen, sich immer weiter einzuschränken, müssen wir Männern klipp und klar sagen: ,Reflektiert euer Verhalten und seid verdammt nochmal keine Täter!'", fordert Cansu Özdemir als frauenpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion.
Im Vorfeld des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen und Mädchen am 25. November hat Özdemir eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu sexualisierter und häuslicher Gewalt initiiert, die gezielt Männer und ihr Verhalten adressiert. „Im Moment fehlt es an proaktiven Ansätzen, die sich an potenzielle Täter richten, die Männer in die Verantwortung nehmen und die in der Öffentlichkeit gegen toxische Männlichkeitsvorstellungen wirken“, teilt die Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft zu der Idee der Kampagne mit. In Hamburg hatte die Zahl der Opfer von Partnerschaftsgewalt 2020 ihren höchsten Stand seit zehn Jahren, die Zahl der Vergewaltigungen, Nötigungen und sexuellen Übergriffe in besonders schwerem Fall stieg um 35,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Damit die Kampagne von der gesamten Stadt getragen wird, hat die Linksfraktion bei der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch beantragt, dass der Hamburger Senat die Verantwortung dafür übernimmt und die notwendigen Mittel für die Konzeption, Koordinierung und Auswertung zur Verfügung stellt. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung in den Sozialausschuss des Hamburger Landesparlamentes überwiesen.
Konzepte toxischer Männlichkeit
In dem Antrag der Linksfraktion heißt es unter der Überschrift „Don‘t be that guy! – Proaktive Kampagne gegen Männergewalt starten“: Öffentliche Kampagnen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt adressieren in erster Linie die Betroffenen. Ziel ist es, sie in akuten Notsituationen zu erreichen, sie über Hilfsangebote zu informieren und ihnen einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu diesen zu gewährleisten. Weiterhin wird im Rahmen solcher Kampagnen das solidarische Umfeld von Betroffenen angerufen. Nachbar:innen und Umstehende werden sensibilisiert, nicht wegzusehen. Beides sind richtige und wichtige Ansätze.
Daneben klafft jedoch eine große Lücke. Häusliche und sexualisierte Gewalt wird in der Regel als „Frauenproblem“ abgetan. Diejenigen, die mehrheitlich für diese patriarchale Form der Gewalt verantwortlich sind – nämlich Männer –, werden im Rahmen von Aufklärungskampagnen kaum angesprochen. Das gängige Narrativ ist: „Frauen schützt euch und nehmt Hilfsangebote wahr“; dabei sollte es doch vielmehr heißen „Männer – verändert euer Verhalten und seid verdammt nochmal keine Täter!“.
Männer müssen dafür sensibilisiert werden, ihre Anteile an der Thematik geschlechterspezifischer Gewalt zu verstehen und anzuerkennen. Sie müssen Verantwortung übernehmen und auch durch den öffentlichen Diskurs in die Verantwortung genommen werden. Es ist ihr Verhalten, das Probleme macht, und nur, indem sie ihr Verhalten ändern, kann das Problem der Gewalt gegen Frauen und Mädchen gelöst werden. Wenn es um häusliche und sexualisierte Gewalt geht, müssen Konzepte toxischer Männlichkeit thematisiert und die Einstellungen und Verhaltensweisen von Männern kritisch in den Fokus genommen werden. Männer müssen lernen, dass es in ihrer Verantwortung liegt, sich gegenseitig zur Rechenschaft zu ziehen und Missbrauch zu verhindern.
„Don‘t be that guy“
Hierfür benennt die Linksfraktion bereits bestehende Ansätze, die als Vorbilder dienen können. In Österreich veröffentlichen zum Beispiel Frauenberatungsstellen auf ihren Homepages und Social-Media-Kanälen Beiträge unter dem Titel „Was ich als Mann zur Sicherheit von Frauen und Mädchen beitragen kann“.
In Schottland läuft seit diesem Monat eine groß angelegte Kampagne der Polizei. Unter dem Motto „Don‘t be that guy“ („Sei nicht der Kerl“) werden eine Homepage, sowie Instagram, Twitter und YouTube bespielt und es gibt Podcasts und Workshops für Männer und Jungen, die ihnen helfen sollen, sich mit ihrem eigenen Verhalten kritisch auseinanderzusetzen, und in denen sie lernen, ein Umfeld zu schaffen, in welchem sie Frauen nicht gefährden. In der Selbstbeschreibung heißt es: „DER KERL ist eine neue Kampagne der schottischen Polizei mit dem Ziel, Vergewaltigungen, schwere sexuelle Übergriffe und Belästigungen zu reduzieren, indem offene Gespräche mit Männern über männliche sexuelle Anmaßung geführt werden. Männer – wir können wirklich etwas verändern, wenn wir unser Verhalten auf den Prüfstand stellen, zu Hause, am Arbeitsplatz und beim Abhängen mit unseren Freunden. Wir müssen als Männer aufhören, zu einem Umfeld beizutragen, das Frauen anvisiert, herabmindert, erniedrigt und brutalisiert.“
In den USA wurde bereits 2010, ebenfalls unter dem Titel „Don‘t be that guy“, eine Plakat-Kampagne durch die Gruppe „Sexual Assault Voices of Edmonton“ (SAVE) initiiert. In der Kampagnenbeschreibung heißt es: „Üblicherweise richten sich Kampagnen rund um sexualisierte Gewalt an die potentiellen Opfer, indem sie Frauen auffordern, ihr Verhalten einzuschränken. Untersuchungen zeigen uns aber, dass es nicht nur ineffektiv ist, das Verhalten der Opfer zum Thema zu machen, sondern dass es auch dazu beiträgt, sich nach einem Angriff selbst die Schuld geben. Daher richtet sich unsere Kampagne an potentielle Täter – sie sind für den Angriff verantwortlich und auch dafür, ihn zu verhindern.“ Die eingängigen Plakate der Kampagne wurden in ganz Nordamerika und sogar weltweit aufgegriffen.
„Männlichkeit entscheidest Du“
Gute Anknüpfungspunkte gibt es weiterhin bei der Kampagne der Frauennotrufe „Männlichkeit entscheidest Du“ aus Schleswig-Holstein, an deren Entwicklung auch der Hamburger Frauennotruf mitwirkte. Und auch in Hamburg gab es bereits eine groß angelegte erfolgreiche Kampagne, die Männer und Männergewalt adressierte. Unter dem Slogan „2000 und ein Mann gegen VerGEWALTigung“ gab es Plakataktionen, Veranstaltungen, Unterschriftensammlungen, Infostände, Flyer, Radiospots, Fernsehauftritte und mehr. Die Kampagne lief ein Jahr lang, für ihre Konzeption und Durchführung gab es mehrere durch die Stadt finanzierte Teilzeitstellen.
„Das Ganze liegt nun allerdings mehr als 20 Jahre zurück. Zeit für eine Neuauflage! Denn es fehlt an aktuellen proaktiven Ansätzen, die sich an potenzielle Täter richten, die Männer in die Verantwortung nehmen und die in der Öffentlichkeit gegen Männlichkeitsvorstellungen wirken, die auf Abwertung, Sexismus und letztlich körperlicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen basieren. Wir möchten daher eine entsprechende Kampagne für Hamburg anregen, die nachhaltig angelegt ist. Dabei darf die Finanzierung keinesfalls zulasten bestehender Opferschutzstrukturen gehen“, so die Hamburger Linksfraktion.