In verschiedenen Städten Deutschlands und Frankreichs sind am Samstag zahlreiche Kurdinnen und Kurden sowie solidarische Menschen auf die Straße gegangen. Sie forderten Klarheit über die Situation Abdullah Öcalans, dem seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Begründer, und seine Freilassung. Anlass für die Proteste ist die rechtswidrige Totalisolation Öcalans, die vom türkischen Staat seit nunmehr zweieinhalb Jahren als illegale Incommunicado-Haft praktiziert wird. Der kurdische Europadachverband KCDK-E, der zu den Demonstrationen aufgerufen hatte, sieht in dieser Form der Inhaftierung eine Kriegsmethode, um eine Lösung der kurdischen Frage auf demokratischem Wege zu verhindern.
Das Schlagwort der Proteste lautete daher „Freiheit für Abdullah Öcalan – Status für Kurdistan“. Der KCDK-E sieht in Öcalan eine Schlüsselfigur für die Lösung der kurdischen Frage. „Seine Freilassung kann einen dauerhaften Frieden ermöglichen – in Kurdistan, aber auch in anderen Regionen von Nah- und Mittelost“, sagte Zübeyde Zümrüt, Ko-Vorsitzende des KCDK-E, bei einer zentralen Demonstration in Straßburg, an der sich auch Menschen aus der Schweiz und Süddeutschlands beteiligten. Denn Öcalan sei der einzige Akteur mit einem Lösungsplan für die vielfältigen Probleme in einer Region, die seit Jahren als dauerhafter Kriegsschauplatz gilt.
Doch mit einem gefangenen Friedensstifter könne kein Fortschritt auf dem Weg zu einer Lösung erzielt werden, betonte Zümrüt. „Für Frieden und gegen die Gefahr eines Genozids am kurdischen Volk muss Abdullah Öcalan als politischer Repräsentant der Kurdinnen und Kurden bedingungslos und sofort freigelassen werden, um unter freien Bedingungen leben und seinen demokratischen Kampf fortsetzen zu können“, forderte sie.
Weitere Demonstrationen in Frankreich fanden in Rennes, Lyon und wie im Video zu sehen in Paris statt.
Düsseldorf: Öcalan ist ununterbrochener Folter ausgesetzt
In Düsseldorf zog eine vom bundesdeutschen Dachverband KON-MED veranstaltete Demonstration unter einem weißen Fahnenmeer mit dem Konterfei Öcalans vom Hauptbahnhof bis zur Einkaufsmeile Königsallee. Zuvor hielt Ayten Kaplan als Sprecherin der kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) eine Ansprache. Kaplan bezeichnete die Haftsituation Abdullah Öcalans als „ununterbrochene Folter“, die symbolisch stehe für das Schicksal aller Kurdinnen und Kurden.
„Er wird nicht nur eingesperrt, sondern seit 24 Jahren jeglicher Menschenrechte beraubt“, kritisierte die Aktivistin und erinnerte daran, dass der PKK-Vorsitzende 1999 mit einem internationalen Coup unter Beteiligung mehrerer Staaten und ihrer Geheimdienste aus Kenia in die Türkei verschleppt wurde. „Folglich ist es nicht nur die Türkei, die verantwortlich für das Unrecht auf Imrali ist. Alle Akteure, die am Komplott gegen Öcalan beteiligt gewesen sind, sind schuldtragend an seiner gegenwärtigen Situation“, kritisierte Kaplan. „Wir fordern sie daher auf, sich für seine umgehende Freilassung einzusetzen. Das kurdische Volk wird den Kampf um die Freilassung seines Repräsentanten nicht aufgeben.“
Hamburg: Öcalans Isolation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Auch in Hamburg fand eine Demonstration statt, die vom Hauptbahnhof startend durch die City führte. Unter den Teilnehmenden war auch der ehemalige Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, Martin Dolzer. Er hielt zum Auftakt eine Rede, in der er die Abschottung Abdullah Öcalans von seiner Außenwelt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Es sei „einmalig und historisch“, dass ein inhaftierter Politiker über einen so langen Zeitraum keinen Besuch erhalten könne und niemand eigentlich weiß, „wie es ihm wirklich geht, weil er absolut isoliert wird“.
„Es muss wohl so sein, dass das Regime Erdogan derart viel Angst vor Abdullah Öcalan hat, weil er den Frieden verkörpert“, erklärte Dolzer. Selbst die Haftpraxis gegen Nelson Mandela in Südafrika sei nicht so hart gewesen. Das Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT) forderte Dolzer auf, seiner Verantwortung gerecht zu werden, um die Isolation auf Imrali zu beenden. Der Mechanismus des Europarats besucht Hafteinrichtungen, um zu prüfen, wie Menschen behandelt werden, denen die Freiheit entzogen ist. Beispiele für solche Einrichtungen sind Gefängnisse, Jugendhaftanstalten, Polizeireviere, Abschiebehafteinrichtungen und psychiatrische Kliniken. Delegationen des CPT haben – als einzige – unbeschränkten Zugang zu diesen Hafteinrichtungen, einschließlich des Rechts, sich innerhalb dieser Orte ungehindert zu bewegen. Zwar hatte das CPT 2022 Imrali inspiziert. Den dazugehörigen Bericht über den Besuch hat die Einrichtung aber bis heute nicht veröffentlicht.
Sebahat Ergin, Ko-Vorsitzende der Föderation kurdischer Vereine in Norddeutschland (FED-DEM), forderte in einer Ansprache, dass der Kampf gegen das Imrali-System ausgeweitet werden müsse. Beim Widerstand gegen die Isolation auf der Gefängnisinsel gehe es letztlich nicht nur um die Freiheit des Vordenkers der kurdischen Freiheitsbewegung, sondern auch um die Lösung des Konflikts, der seit Jahrzehnten Kurdistan beherrscht, und vielmehr um eine Perspektive für ein friedliches Zusammenleben der Völker im Nahen und Mittleren Osten. „Abdullah Öcalan steht für die Idee einer Gesellschaft, deren Grundpfeiler radikale Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie sind. Seit nunmehr 24 Jahren kämpft er hinter Gittern für dieses Ziel und die Freiheit von uns allen. Wir sind es ihm schuldig, die Grundlage für seine Freiheit und damit auch Frieden in Kurdistan zu schaffen“, so Ergin.
Demonstration in Hannover
Demonstration in Berlin
Weitere Demonstrationen fanden in Paris, Rennes, im österreichischen Graz sowie in Kanada statt.