Europarat startet Vertragsverletzungsverfahren gegen Ankara

Das Ministerkomitee des Europarates hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet. Grund hierfür ist die Nichtumsetzung des EGMR-Urteils im Fall des Kulturförderers Osman Kavala.

Das Ministerkomitee des Europarates hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet. Grund hierfür ist die Nichtumsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall des Kulturförderers Osman Kavala, berichtet der türkische Dienst von Euronews. Die offizielle Entscheidung des Ministerkomitees soll am Freitag verkündet werden.

Osman Kavala sitzt seit mehr als vier Jahren ohne Urteil in Haft. Die von Präsident Recep Tayyip Erdogan gelenkte Justiz wirft dem Bürgerrechtler vor, die Gezi-Proteste im Jahr 2013 federführend organisiert zu haben und an dem Pseudoputsch 2016 beteiligt gewesen zu sein. Der EGMR urteilte 2019, Kavalas Haft habe keine rechtsstaatliche Grundlage, sondern diene lediglich dazu, „ihn als Verteidiger der Menschenrechte zum Schweigen zu bringen“. Ankara weigert sich beharrlich, den 64-Jährigen freizulassen.

Das Ministerkomitee überwacht als Entscheidungsorgan des Europarats die Umsetzung von EGMR-Urteilen. Mitgliedstaaten wie die Türkei sind verpflichtet, Entscheidungen des Gerichts in Straßburg umzusetzen. Andernfalls kann das Land ausgeschlossen werden. Bisher hat der Rat erst einmal ein Ausschlussverfahren gegen ein Mitglied eingeleitet: 2017 sah sich das Regime in Aserbaidschan dem drohenden Rauswurf gegenüber, weil die Justiz des Landes sich weigerte, ein EGMR-Urteil zur Freilassung des Oppositionspolitikers Ilgar Mammadov umzusetzen. Die Drohung wirkte: Mammadov wurde 2020 freigesprochen und das Ausschlussverfahren darauf eingestellt.

Auch über Haftsituation von Abdullah Öcalan beraten

Bei der mehrtägigen Sitzung zum Thema Menschenrechte hat der Europarat auch die Fälle anderer politischer Gefangener in der Türkei behandelt. Der Antrag kam von mehreren NGOs: Die Freiheitliche Juristenvereinigung (ÖHD), der Menschenrechtsverein (IHD), die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) und die Stiftung zur Untersuchung von Gesellschaft und Recht (TOHAV) hatten das Ministerkomitee im Juli aufgefordert, für die Umsetzung der EGMR-Urteile im Fall von Abdullah Öcalan und drei weiteren politischen Gefangenen; Hayati Kaytan, Emin Gurban und Civan Boltan, zu sorgen.

Der Fall „Öcalan-2“

2014 hatte der EGMR in dem als „Öcalan-2“ bekannten Urteil entschieden, dass Ankara mit der Verhängung einer nicht reduzierbaren lebenslangen Freiheitsstrafe gegen den Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat. Die verschärfte Form der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie einige Haftbedingungen stellten einen Verstoß gegen das Verbot einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung dar, urteilte das Straßburger Gericht am 18. März 2014. Lebenslänglich Verurteilte müssten zumindest Aussicht auf eine vorzeitige Haftentlassung haben. Die Strafe müsse reduzierbar sein und einer Nachprüfung unterzogen werden können. Dies sei hier aber nicht der Fall (Az.: 24069/03, 197/04, 6201/06 und 10464/07).