Der türkische Staat will in Libyen etwas Ähnliches begründen wie die „Sicherheitszone“, die er im Norden Syriens für dschihadistische Gruppen wie al-Qaida, IS und al-Nusra aufzubauen versucht hat. Die Erdoğan-Regierung, die ihre neoosmanischen Träume im Mittleren Osten mit einem Blutbad durchzusetzen versucht, hat nach einem mit der Sarradsch-Regierung in Tripolis geschlossenen Abkommen in den vergangenen Tagen eine große Anzahl von Dschihadisten zur Unterstützung der Muslimbruderschaft nach Libyen geschickt.
Loqman Ehmê ist Sprecher der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien und hat sich gegenüber ANF zu den türkischen Ambitionen in der Region geäußert. Seiner Meinung nach zielt der türkische Staat mit seiner jüngsten Offensive darauf ab, sowohl den Mittleren Osten als auch Europa in mehrfacher Hinsicht zu bedrohen.
Die Türkei verfolgt weiterhin ihre Politik der demografischen Veränderung in Nord- und Ostsyrien, erklärt Loqman Ehmê: „Seit langer Zeit machen wir darauf aufmerksam, dass der türkische Staat eine bedrohliche Agenda für unsere Region, den Mittleren Osten und Europa verfolgt. Unsere Region ist direkt angegriffen und besetzt worden. Mit der Besatzung von Efrîn, Azaz, al-Bab, Dscharablus und zuletzt auch Girê Spî [Tall Abyad] und Serêkaniyê [Ras al-Ain] will die Türkei einen Terrorstaat in der Region gründen. Die ursprüngliche Bevölkerung wird vertrieben und an ihrer Stelle werden verbündete Dschihadisten und ihre Familien angesiedelt. Somit wird ein demografischer Austausch vollzogen.“
Bedrohung Europas und des Mittleren Ostens
Mit der Libyen-Offensive will die Türkei sowohl dem Mittleren Osten als auch Europa drohen, führt Ehmê weiter aus: „Der türkische Staat verfolgt in seiner Mittelost- und Afrika-Agenda einen anderen Weg. Er war zuvor bereits im Sudan und in Somalia präsent. In Katar hat er Militärbasen. Und jetzt geht es weiter nach Libyen. Dort hat er mehrere Ziele. Zum Beispiel soll auf diese Weise der Energiebedarf gedeckt werden. Mit dem mit der Sarradsch-Regierung geschlossenen Abkommen hat die Türkei große Teile des gasreichen Mittelmeers zum eigenen Hoheitsgebiet erklärt. Damit will sie die Kontrolle über die Energielieferungen vom Mittleren Osten nach Europa gewinnen.“
Flüchtlinge und Dschihadisten als Druckmittel
„Erdoğan droht mit seiner jüngsten Offensive gleichzeitig auch Europa“, führt Loqman Ehmê aus: „Libyen grenzt an Europa. Erdoğan will dort an Einfluss gewinnen und Europa mit der Übernahme der Kontrolle über die Energielieferungen drohen. Gleichzeitig positioniert er eine große Anzahl Dschihadisten vor den Toren Europas, die wie bereits in der Vergangenheit Anschläge verüben können. Dabei handelt es sich neben der Flüchtlingskarte um einen zweiten Trumpf, den er als Drohung und Druckmittel in der Hand hält.“
Warnung nicht ernstgenommen
Ehmê verweist darauf, dass das Erdoğan-Regime mittlerweile für alle Seiten zu einer ernsten Bedrohung geworden ist: „Wir haben bereits 2014 darauf aufmerksam gemacht. Unsere Warnung wurde nicht ernst genommen und heute ist das Ausmaß der Bedrohung mehr als ersichtlich. Es müssen unverzüglich Maßnahmen getroffen werden, um diese Gefahr zu unterbinden. Je später gehandelt wird, desto höher wird der Preis sein, der dafür gezahlt werden muss.“
Dschihadisten als Militärdienstleister der Türkei
Ehmê hält als Sprecher der Autonomieverwaltung fest, dass Erdoğan in Nordsyrien einen Militärverband aus Dschihadisten zusammengestellt hat und diese als Proxy-Armee an verschiedenen Orten der Welt einsetzen möchte: „Bei diesen Personen handelt es sich nicht um Rebellen, Oppositionelle oder eine Gruppe, die sich für bestimmte Rechte einsetzt. Es sind Erdoğans bezahlte Söldner. Er hat sie aus Ghouta, Dera, Aleppo nach Idlib gebracht, nach Serêkaniyê, nach Girê Spî, und jetzt bringt er sie nach Libyen. Er bringt sie irgendwohin und lässt sie als bezahlte Söldner kämpfen.“