Eklat im Parlament: Oluç bescheinigt Innenminister „Kurdophobie“

Im türkischen Parlament ist es bei einer Haushaltsdebatte zu einem Eklat gekommen. Gegen die HDP-Fraktion hagelte es persönliche Beleidigungen durch den Innenminister, Vizefraktionsvorsitzender Saruhan Oluç wies diese „20-millionenfach“ zurück.

Im türkischen Parlament ist es am Wochenende bei einer Debatte zum Haushalt zu einem Eklat gekommen, nachdem Innenminister Süleyman Soylu (AKP) die Mitglieder der HDP-Fraktion im Zuge einer Diskussion um die Zwangsverwaltung in kurdischen Städten als „ehrlos“ beleidigte. Die Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) schlugen aus Protest auf die Sitzbankreihen des Parlaments, buhten Soylu aus und hielten Fotos von Opfern tödlicher Polizeigewalt und Folter hoch, darunter der Aktivistin der kurdischen Frauenfreiheitsbewegung TJA, Sevil Rojbin Çetin, die in Gewahrsam mit Polizeihunden traktiert wurde, den beiden kurdischen Dorfbewohnern Osman Şiban und Servet Turgut, die nach ihrer Festnahme in Wan aus einem türkischen Militärhubschrauber gestoßen worden sind, und dem Studenten Kemal Kurkut, der 2017 am Rande der traditionellen Newroz-Feierlichkeiten in Amed von einem Polizisten erschossen wurde.

Oluç: Soylu repräsentiert Usurpation des Willens der Kurden

Saruhan Oluç, Vizefraktionsvorsitzende der HDP, sagte, Soylu repräsentiere die Usurpation des Willens des kurdischen Volkes und die Misswirtschaft und Korruption, die sich unter der Herrschaft der Zwangsverwalter in den ehemals HDP-geführten Kommunen ausgebreitet haben, und bezeichnete seine Rede als „Show“ und Strategie der parteiinternen Machtkämpfe der AKP, die auf dem Rücken der HDP ausgetragen würden. „Die HDP repräsentiert die demokratischen Kräfte innerhalb der Türkei, in erster Linie das kurdische Volk. Mit über sechs Millionen Stimmen kommen wir zusammen mit den Familien unserer Wählerinnen und Wähler auf eine Repräsentanz von knapp 20 Millionen Menschen. Die Beleidigungen Soylus weisen wir deshalb 20 Millionen Mal an ihn zurück“, sagte Oluç.

48 HDP-regierte Städte unter Zwangsverwaltung

Der politische Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Opposition in der Türkei nimmt immer größere Ausmaße an. Nach Angaben der HDP-Sprecherin Ebru Günay sind seit den Wahlen im Juni 2015 mindestens 16.490 Personen festgenommen worden, von denen 3695 verhaftet wurden. Unter den Verhafteten befinden sich hochrangige Politikerinnen und Politiker der HDP. Aktuell sind sieben Abgeordnete und 15 Vorstandsmitglieder im Gefängnis. Dreizehn Abgeordneten ist das parlamentarische Mandat entzogen worden. Seit August 2019 sind 48 HDP-regierte Städte und Kommune unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt worden, 37 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wurden verhaftet, 18 von ihnen sind weiterhin im Gefängnis. Sieben Bürgermeisterinnen und Bürgermeister stehen unter Hausarrest.

Nichts als Kurdenfeindlichkeit

„Wir als HDP kämpfen für Würde, Ehre, Wahrheit, Freiheit, Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie. Sie dagegen setzen sich ein für Illegalität, Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Kein einziges Mal haben Sie das Wort ‚Demokratie‘ in den Mund genommen. Sie betreiben Kurdenfeindlichkeit“, sagte Oluç und bescheinigte Soylu im gleichen Atemzug Kurdophobie.

Eklat geht auch am Sonntag weiter

Die Eskalationsstufe im türkischen Parlament wurde auch am Sonntag nicht heruntergefahren. Im Kurznachrichtendienst Twitter machte die HDP mit der Hashtag-Kampagne #ZehirZıkkımOlacak (wörtlich: Es wird giftig und bitter) auf die massive Plünderung der öffentlichen Kassen in den zwangsverwalteten Städten aufmerksam. Soylu hatte beim Eklat im Parlament in Anspielung auf das Treuhandregime der HDP-Fraktion zugerufen: „Das geschieht euch recht.“ Der HDP-Abgeordnete Kemal Bülbül, der kürzlich wegen dem gängigen Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, zog mit Blick auf Soylu einen Vergleich zu Esat Oktay Yıldıran: „Wenn Soylu der Yıldıran unserer Zeit ist, sind wir die heutigen Kemal Pirs.“

Yıldıran war zwischen 1981 und 1984 leitender Offizier des Gefängnisses von Amed, dessen Name synonym für die Folter zur Zeit der türkischen Militärjunta stand und die sich in sexualisierter Form insbesondere gegen revolutionäre Frauen richtete. Gegen das Folterregime Yıldırans, der bereits 1974 bei der Invasion Zyperns durch seine Greueltaten aufgefallen war, hatte der PKK-Mitbegründer mit lasischen Wurzeln Kemal Pir eine Offensive begonnen, um damit gleichzeitig auch der Unterdrückung in Nordkurdistan Einhalt zu gebieten. 1987 wurde Yıldıran in Istanbul von PKK-Militanten getötet. Bevor der Schütze den tödlichen Schuss abgab, sagte er zu dem Offizier: „Der Lase Kemal (Pir) lässt dich grüßen.“