Durch Solidarität die Gefängnismauern überwinden

Auf einer Demonstration in Hamburg unter dem Motto „Free all Antifas“ wurde deutlich, dass der gemeinsame Kampf und die Solidarität für eine Welt ohne Nazis, ohne Faschismus und ohne Unterdrückung noch stärker werden muss.

„Free all Antifas“ & „Free Kenan Ayaz“

Es sind unruhige Zeiten. Der immer weiter voranschreitende Rechtsruck in Europa ist allgegenwärtig, die Repression gegen Antifas in Deutschland nimmt seit Jahren zu und auch die kurdische Befreiungsbewegung ist nach wie vor staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Mit einer kämpferischen Demonstration unter dem Motto „Free all Antifas!“ haben am Samstagabend in Hamburg an die 700 Menschen ihre Wut über die Zustände zum Ausdruck gebracht. Deutlich wurde, dass der gemeinsame Kampf und die Solidarität für eine Welt ohne Nazis, ohne Faschismus und ohne Unterdrückung noch stärker werden muss.

Der Fall Maja

Vor knapp drei Monaten wurde Maja auf Geheiß der Berliner Generalstaatsanwaltschaft aus der Untersuchungshaft in Dresden an die ungarische Justiz ausgeliefert. Grundlage hierfür war ein in Ungarn ausgestellter europäischer Haftbefehl, weil Maja im Februar 2023 angeblich Personen einer Nazidemo in Budapest am „Tag der Ehre“ angegriffen haben soll. Eine Entscheidung über einen Eilantrag der Anwälte gegen die Auslieferung beim Bundesverfassungsgericht wurde bewusst nicht abgewartet. Als der Antrag am Vormittag des Auslieferungstages positiv beschieden wurde, war Maja schon mit Unterstützung österreichischer Behörden an die Verfolger in Ungarn überstellt. Dies sorgte bundesweit für Aufsehen. Majas Befürchtungen bezüglich der Haftbedingungen haben sich bestätigt: „Es gibt aus meinen Augen eine mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln. Hygienische Produkte wurden mir vorenthalten. Es ist teilweise dreckig, es gibt unzählige Bettwanzen und Kakerlaken.“ In Majas Zelle befindet sich eine Videokamera, die ununterbrochen läuft, es finden täglich Schikanen durch die Wärter:innen statt. Die Haftbedingungen sind verschärft: 23 Stunden in der Zelle, eine Stunde auf dem Hof und immer alleine.

Hanna und Nanuk in U-Haft

Ebenfalls im Kontext des sogenannten Budapest-Komplexes wurde vor fast sechs Monaten Hanna festgenommen und sitzt seitdem in Nürnberg in U-Haft - in den nächsten Tagen findet die Haftprüfung statt. Auch vor dem Hintergrund der Anfang Oktober erhobenen Anklage seitens des Generalbundesanwalts (GBA) vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München erscheint es unwahrscheinlich, dass Hanna aus der U-Haft entlassen wird. Konkret wird Hanna Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) auf versuchten Mord (§ 211 Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) sowie gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 StGB) vorgeworfen. Weitere Antifas sind untergetaucht. Und erst am Montag vor einer Woche wurde mit Nanuk ein weiterer Antifaschist in Berlin festgenommen. Die Verhaftung steht im Zusammenhang mit der vermeintlichen Unterstützung der sogenannten kriminellen Vereinigung aus dem Antifa-Ost-Verfahren (§129 StGB). Außerdem wird Nanuk vorgeworfen, Neonazis angegriffen zu haben und an dem Angriff auf die Außenstelle des Bundesgerichtshofs in Leipzig an Neujahr 2019 beteiligt gewesen zu sein. Nachdem Nanuk dem Haftrichter in Karlsruhe vorgeführt wurde, ist er mittlerweile in die JVA Moabit überstellt worden und sitzt dort in Untersuchungshaft.

Grußwort von Maja und Grüße an Kenan Ayaz

Während der Auftaktkundgebung in Hamburg wurde ein Grußwort von Maja verlesen, indem deutlich gemacht wird, dass die Haftbedingungen zwar fürchterlich sind, aber die vielfältigen solidarischen Aktivitäten Kraft geben. Nach dem Beitrag schallte es aus der Menge der Teilnehmenden: „Free Maja! Free, free Maja!“

Rede von Azadî e.V.

Während Maja in Budapest einsitzt, ist der kurdische Aktivist Kenan Ayaz seit Juni vergangenen Jahres im UG Holstenglacis in Hamburg inhaftiert. Er wurde im März 2023 in Zypern festgenommen und befand sich dort bis zu seiner Auslieferung nach Deutschland im Gefängnis. Sowohl Maja als auch Kenan Ayaz wurden aufgrund eines europäischen Haftbefehls ausgeliefert. Eine Hand wäscht die andere. In einem Redebeitrag des Rechtshilfefonds Azadî wurde darauf aufmerksam gemacht, dass „die kurdische Befreiungsbewegung […] sich vor allem in den letzten zwei Jahren der Verfolgung durch die deutsche Justiz in Form des europäischen Haftbefehls ausgesetzt“ sieht. „Seit dem Besuch des damaligen Generalbundesanwalts Peter Frank in der Türkei im Sommer 2022 wurden sieben Kurden aus dem europäischen Ausland an die BRD überstellt, um sie hier nach § 129b des Strafgesetzbuches als Mitglieder der PKK anzuklagen.“

Zur gleichen Zeit forderte die Türkei im Zusammenhang mit der NATO-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland eine verschärfte Verfolgung von vermeintlichen PKK-Mitgliedern sowohl von Schweden als auch den anderen NATO-Staaten. Es ist offensichtlich, dass die Auslieferung von Kenan Ayaz auf das Gespräch Franks mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zurückzuführen ist. Am 4. September erfolgte nach einem zehnmonatigen Prozess das Urteil des OLG Hamburg: vier Jahre und drei Monate. Die Verteidigung hat Revision eingelegt. Neben Kenan Ayaz sitzt seit Januar 2024 mit Kadri Saka ein Kurde aus Bremen im UG Holstenglacis. Auch ihm wird die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Im Juli hat der Prozess gegen ihn vor dem OLG begonnen.

Die Gefangenen freuen sich

Und so setzte sich die Demonstration in Richtung des UG Holstenglacis in Bewegung. Die Gefangenen freuten sich darüber, für einen Moment dem tristen Knastalltag entrissen zu werden. Man winkte sich gegenseitig zu, grüßte sich über die Mauern hinweg. Die Solidarität, die Kenan Ayaz während seines Prozesses erfahren hat und nach wie vor durch Besuche und Briefe erhält, gibt ihm Kraft, diese schwierige Zeit zu überstehen. In einem vor dem Gefängnis verlesenen Brief an eine Freundin heißt es: „Weißt du, eine von Herzen kommende Stimme geht ins Herz. […] Ich kann euch nicht genug danken. Euer Dasein hat mir sehr viel Kraft gegeben. Ihr habt mich motiviert und ich werde immer in eurer Schuld stehen. Nach langer Zeit Jin Jiyan Azadî zu hören, war etwas ganz Besonderes. Die Parole unserer Freiheit hat mich sehr berührt. Gut, dass es euch gibt. Wenn du erneut allen meine Grüße und meinen Dank übermittelst, würde ich mich freuen. Mir geht es trotz allem sehr gut, ich bin guter Moral. Ich lese und schreibe, die Zeit rinnt wie Wasser dahin.“

Revolutionäre Perspektive gegen Ausbeutung und Unterdrückung

Auf der Zwischenkundgebung wurde in einem weiteren Redebeitrag betont, dass die Solidarität mit den inhaftierten und untergetauchten Mitstreiter:innen im Kontext einer generellen Ablehnung des Knastsystems steht. Vor einem Gefängnis nur von „politischen Gefangenen“ zu sprechen und über die Situation der anderen Gefangenen zu schweigen, würde sich zynisch anfühlen. Und die Gefangenen, die an den Fenstern den Parolen und den Redebeiträgen beiwohnten, freuten sich sichtlich über die kämpferischen Worte gegen jeden Knast und für die Freiheit aller Gefangenen – sie klatschten, riefen, schlugen an die Gitter, einzelne riefen sogar „Free Maja!“ und zündeten Papier am Fenster an. Im Redebeitrag wurde zunächst der Anlass der Demonstration erklärt, um dann einen Bogen zu spannen zu der Solidarität mit den verfolgten und inhaftierten Antifas, dem Kampf gegen das System von Einsperrung und Strafe, einer damit verbundenen generellen revolutionären Perspektive gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Protest gegen türkische Angriffswelle auf Kurdistan

Vom UG Holstenglacis ging es weiter in Richtung des ungarischen Konsulats. Auf dem Weg dorthin kamen die Demonstrierenden am türkischen Konsulat vorbei und riefen Parolen gegen den Krieg in Kurdistan. Denn seit einigen Tagen fliegt die türkische Armee Angriffe auf Nord- und Ostsyrien, Şengal und die Medya-Verteidigungsgebiete. Gezielt werden die Zivilbevölkerung und kritische Infrastruktur bombardiert.

Am ungarischen Konsulat an der Alster im noblen Pöseldorf angekommen hielten Eltern einer im Budapest-Komplex gesuchten jungen Frau eine Abschlussrede. Sie machten deutlich, dass die Solidarität der Anwesenden sie sehr freue und ihnen Kraft gebe. Denn es mache sie „fassungslos und wütend, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Unrechtssystem, in diesem Fall Ungarn, von deutschen Behörden genutzt wird, um gegen jede Menschlichkeit Leute wegzusperren und sich noch immer mit Rechtsstaatlichkeit zu rühmen.“ Der Redebeitrag endete mit der Aufforderung, weiter zusammen zu kämpfen und die „Hoffnung auf Freiheit für alle Antifas“ nicht aufzugeben.