Protest vor der JVA Nürnberg
Zum sechsten Mal versammelten sich Unterstützer:innen von Hanna S. vor der Mauer der Nürnberger Justizvollzugsanstalt und verlangten die Freilassung ihrer Freundin: „Hanna, lass dein Haar herunter! Du bist nicht allein“ hieß es am Samstag in Anklang an das Märchen „Rapunzel“ der Gebrüder Grimm, das von der Gefangenschaft einer jungen Frau in einem hohen Turm erzählt.
Hanna S. ist Antifaschistin und Studentin an der Akademie der Bildenden Künste. Sie wurde am 6. Mai dieses Jahres in Nürnberg festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Ihr droht eine Auslieferung nach Ungarn.
Die 29-Jährige wird beschuldigt, in Budapest an Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Seit 1997 versammeln sich jeweils im Februar am „Tag der Ehre" rechtsextreme Netzwerke aus ganz Europa in Ungarns Hauptstadt, um der Waffen-SS des Nazi-Regimes und ihren ungarischen Kollaborateuren zu huldigen. Dagegen rufen Antifaschist:innen aus vielen Staaten regelmäßig zum Protest auf. Im Februar 2023 kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen, bei denen Faschisten verletzt wurden. Die ungarische Polizei fahndet seither mit europäischen und internationalen Haftbefehlen nach Antifaschist:innen. Ungarn will die Strafverfahren selbst durchführen und verlangt deshalb die Auslieferung von vermeintlich Beteiligten aus anderen Ländern.
Daraufhin kam es zu Verhaftungen und auch zu Auslieferungen. Ein Beispiel ist die italienische Antifaschistin Ilaria Salis, die mittlerweile wieder nach Italien zurückkehren konnte. In einem Brief schilderte sie die desaströsen Haftbedingungen in Ungarn mit Ungeziefer in den Zellen, Übergriffen, Kontaktverboten und Isolation. Als dies bekannt wurde, lehnte das Berufungsgericht in Mailand die Auslieferung von Gabriele M. wegen menschenunwürdiger Behandlung in ungarischen Gefängnissen ab. Selbst die neo-faschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni intervenierte bei ihrem Amtskollegen Viktor Orbán und bezichtigte die ungarische Justiz der Missachtung von Menschenrechten.
In Deutschland fand derweil eine mediale Hetzkampagne statt, die an die düstere Zeit der RAF-Verfolgung erinnerte. Der Begriff „Budapest-Komplex“ machte die Runde. Zehn zur öffentlichen Fahndung ausgeschriebene Personen wurden zu „Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung“ erklärt, was Anklagen nach §129 ermöglichte. Sie gelten inzwischen als untergetaucht, weil sie eine Auslieferung nach Ungarn fürchten, wo ihnen völlig überzogene Freiheitsstrafen von bis zu 24 Jahren unter unhaltbaren Bedingungen drohen.
Im Dezember 2023 dann wurde die non-binäre Person Maja T. in Berlin festgenommen und im Juni dieses Jahres in einer von einem martialischen Polizeiaufgebot begleiteten Nacht- und Nebel-Aktion nach Ungarn ausgeliefert. Obwohl die Verfolgungsbehörden wussten, dass sofort nach der Entscheidung des Berliner Kammergerichts beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über den Vollzug der Auslieferung ein Eilantrag gestellt wurde, haben sie Fakten geschaffen, ohne auf die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts zu warten. Sie wollten damit – zwar unterstellt aber naheliegend – dem Verbot einer Auslieferung zuvorkommen. Knapp eine Stunde nach der Überstellung von Maja T. traf der Bescheid des BVerfG ein, der die Auslieferung untersagte und eine Rückholung anordnete.
Als dieses Vorgehen der Behörden bekannt wurde, gab es zahlreiche Proteste. In einem Offenen Brief schrieb die Bundesrechtsanwaltskammer, das Handeln der Generalstaatsanwaltschaft „widerspricht elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen“ und sei „nicht hinnehmbar“. Die Rote Hilfe erklärte: „An Maja T. wird ein Exempel statuiert, um die antifaschistische Bewegung einzuschüchtern.“
Alle Befürchtungen über die Haftsituation in ungarischen Gefängnissen werden in der jüngsten Botschaft von Maja T. bestätigt: „Die Isolation, fast 24 Stunden alleine, eine Kamera, die jede meiner Bewegungen erfasst. Täglich in Fesseln gelegt und von Kopf bis Fuß durchsucht zu werden, [...] die Liste ist lang … Es ist ein Gift, das sich langsam im Körper ausbreitet.“
Mittlerweile haben sich die Eltern der Beschuldigten zusammengeschlossen und fordern in einer an Justizminister Marco Buschmann und Außenministerin Annalena Baerbock gerichteten Petition: Keine Auslieferung nach Ungarn!
Dass Abschiebungen von deutschen Beschuldigten durch Tricksereien der Behörden in das autoritäre Orbán-Regime stattfinden, beunruhigt auch Hanna S., die sich nun seit über fünf Monaten in Untersuchungshaft befindet. Eine Anklage wurde in ihrem Fall noch nicht erhoben. Ihr Anwalt findet die Inhaftierung unangemessen. Die Kriterien einer Fluchtgefahr lägen bei Hanna nicht vor, da sie einen festen Wohnsitz und vielfältige soziale Bindungen hat und ihr Studium kurz vor dem Abschluss steht. „Hanna hielt sich ununterbrochen in Nürnberg auf und hat in keiner Weise versucht, sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen", so ihr Anwalt.
Und so wartet und bangt Hanna S. weiterhin hinter Gittern, was mit einem der größten Repressionsschläge gegen Antifaschist:innen in Deutschland noch auf sie zukommen wird. Mut gibt ihr das stabile Netzwerk, das regelmäßig Knast-Kundgebungen organisiert. Die nächste wird am 26. Oktober stattfinden. Dann heißt es wieder „Hanna, lass dein Haar herunter!“
Unterdessen weigert sich die Bundesregierung weiter, deutsche IS-Verbrecher aus Syrien zurückzuholen, erwägt stattdessen Abschiebungen in das Bürgerkriegsland und lässt in EU-Ländern kurdische Aktivist:innen als vermeintliche PKK-Mitglieder verhaften. Wie im Fall von Maja T., die nach ihrer Verurteilung in Ungarn ihre Strafe in Deutschland absitzen soll, haben die deutschen Behörden ähnliche Vereinbarungen beispielsweise mit der Republik Zypern, Schweden und den Niederlanden getroffen. Die betroffenen Kurden sollen im Auftrag des Erdogan-Regimes hier verurteilt und zur Verbüßung ihrer Strafe in die Länder, in denen sie über einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel verfügen, zurückgebracht werden.