Strategie der Polizei auf Eskalation ausgelegt
Die letzte Etappe des „Meşa Dirêj“ mit der Forderung „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung für die kurdische Frage“ hat nicht stattgefunden. Die Stadt Freiburg hat die Fortsetzung des langen Marsches der kurdischen Jugendbewegung am Freitag untersagt. Das sei die Konsequenz aus den „Vorfällen“ am Donnerstag, hieß es zur Begründung. Das Organisationskomitee der Veranstaltung verurteilte das Verbot als „politische Entscheidung“ und kündigte rechtliche Schritte an. Auf einer vor dem Demokratisch-Kurdischen Gesellschaftszentrum Freiburg abgegebenen Presseerklärung schilderten die Teilnehmenden ihre Sicht zum Ablauf des Geschehens.
Darstellung der Polizei
Am Donnerstagabend war es nach dem Eintreffen von etwa 120 Beteiligten des Meşa Dirêj in Lahr zu Gewalt gekommen. Laut der Polizei hätten mehrere Teilnehmende im Laufe der Demonstration wiederholt gegen das Versammlungsgesetz verstoßen – unter anderem, weil sie sich vermummt oder Auflagen missachtet hätten. Daher habe man im Bereich des Aktienhofs, wo auch der örtliche kurdische Verein angesiedelt ist, Personalien feststellen wollen. Daraufhin seien Demonstrierende gewaltsam gegen die Einsatzkräfte vorgegangen und hätten sie unter anderem mit Flaschen angegriffen. Neun Beamte seien dabei verletzt worden, hieß es von Seiten der Polizei.
Provokationen und Schikane
Eine kurdische Aktivistin bezeichnete den von der Polizei präsentierten Hergang der Handlungen als „Szenario“. Sie berichtete von „Störaktionen“ bereits zu Beginn der vierten Etappe des Marsches, die in Offenburg startete. Demnach habe die Polizei bereits dort den Protestmarsch verbieten wollen, weil einzelne Teilnehmende später als zum angemeldeten Zeitpunkt am Startpunkt eintrafen. Deshalb sei der Marsch erst nach einer kurzen Busfahrt ab einer nahegelegenen Gemeinde losgezogen. Doch auch hier sei es schnell zu Provokationen und Schikanierungen gekommen. „Mehrmals wurde der Aufzug angehalten und über mehrere Stunden nicht weiter gelassen, es gab Einkesselungen“, so die Aktivistin. Immer wieder sei zudem nach der Demo-Technik gegriffen worden, man habe das Singen von Liedern und das Skandieren von Parolen unterbinden wollen.
Strategie der Polizei war auf Eskalation ausgelegt
„Dieses Verhalten kann nur als massive Machtdemonstration angesehen werden, die uns Jugendliche einschüchtern sollte“, so die Aktivistin. „Die gesamte Strategie der Polizei war darauf ausgelegt, die Situation zu eskalieren.“ Als der Marsch dann vor dem kurdischen Verein im Lahrer Stadtteil Dinglingen eintraf, wurden die Beteiligten erneut eingekesselt. „Es schien, als sei der Angriff abgesprochen gewesen. Wie auf Kommando gingen sie los“, schilderte die Aktivistin. Auf Videos ist zu sehen, wie einige Polizisten gewaltsam in eine Menge stürmen, um Marsch-Teilnehmende herauszufischen, die sich gegen eine Personenkontrolle aussprechen. Dabei werden einzelne Jugendliche gezielt geschlagen und zu Boden gedrückt. „Vier unserer Demonstrierenden erlitten Platzwunden durch diese Gewalt, eine Teilnehmerin blutete stark am Kopf“, so die Aktivistin. Davon und von der Tatsache, dass der von uns gerufene Krankenwagen nicht durchgelassen wurde, ist in den Polizeimeldungen aber keine Rede.“
Über 60 Identitätsfeststellungen, Verfahren wegen schwerem Landfriedensbruch
Im Anschluss stellte die Polizei bei 64 meist Jugendlichen die Identität fest – „aufgrund des Verdachts unterschiedlicher Straftaten“, wie es hieß. „Hierbei leistete ein Großteil der vorübergehend Festgenommenen erheblichen Widerstand gegen die polizeilichen Maßnahmen“, so die Behörde. Mehrere Ermittlungsverfahren seien eingeleitet worden, unter anderem wegen schwerem Landfriedensbruch. Während der Feststellung der Personalien sammelte sich eine neue, rund 150 Köpfe starke Gruppe vor dem kurdischen Verein, die sich mit den Aktivist:innen im Kessel solidarisierte und Parolen skandierte. Die Gruppe setzte sich gegen 21.30 Uhr in Bewegung und bildete einen neuen Aufzug, der von der Polizei begleitet wurde.
„Berxwedan Jiyan e“
„Die Jugend hat gezeigt, dass Widerstand Leben ist“, ergänzte ein anderer Aktivist, der sich an dem Marsch beteiligte, in Anlehnung an die kurdische Parole „Berxwedan Jiyan e“. Er deutete die Gewalteskalation der Polizei zum Ende der vierten Etappe als Reaktion auf Versuche in den Tagen zuvor, die Jugendlichen zu provozieren, und bezeichnete den Angriff als „unmenschlich“. Dies sei die Antwort der kapitalistischen „Hegemonialmacht“ Deutschland auf eine widerständige Jugend, die sich mit den Ideen Abdullah Öcalans identifizieren. Der Aktivist kündigte an, dass der lange Marsch wie geplant in Straßburg beendet wird. Dort findet am Samstag eine europaweite Großdemonstration anlässlich des 26. Jahrestages der Verschleppung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999 aus Kenia in die Türkei statt. Den Abschluss bildet eine Kundgebung vor dem Sitz des Europarats.