Die Ermittlungen gegen Polizisten nach dem tödlichen Einsatz im Fall Qosay Sadam Khalaf aus Delmenhorst sind Mitte Mai eingestellt worden. Der 19-jährige Ezide aus Südkurdistan war nach seiner Festnahme am 5. März in einer Zelle kollabiert und kurze Zeit später verstorben. Das Bündnis „In Erinnerung an Qosay“ protestiert gegen die Einstellung der Ermittlungen und ruft drei Monate nach seinem Tod zu einer Demonstration gegen Polizeigewalt im Wollepark in Delmenhorst auf.
In dem Aufruf erklärt das Bündnis, in dem sich Angehörige, Freund:innen und solidarische Menschen zusammengefunden haben:
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat am Montag, dem 17. Mai 2021, mit einer unerträglichen Pressemitteilung bekannt gegeben, dass die Ermittlungen gegen die Polizisten eingestellt wurden, die die tödliche Festnahme von Qosay Sadam Khalaf zu verantworten haben. Wie in zahllosen anderen Fällen tödlicher Polizeigewalt zeigen die Strafverfolgungsbehörden damit einmal mehr, dass sie keinerlei Willen haben, Polizeigewalt in Deutschland – auch wenn sie tödlich verläuft – aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Anwältin der Familie von Qosay hatte der Staatsanwaltschaft erst kurz vorher mitgeteilt, dass sie nach Akteneinsicht im Namen der Familie eine Stellungnahme abgeben werde. Einen Teil der Akten erhielt die Anwältin erst kurz vor der Mitteilung über die Einstellung, weitere Unterlagen fehlen bis heute. Die Staatsanwaltschaft hat es demnach nicht für nötig gehalten, der Familie des Opfers rechtliches Gehör zu gewähren, genauso wenig wie sie es für nötig hielt, die Familie über die geplante Einstellung zu informieren. Vielmehr erfuhren die Familie und ihre Anwältin von der Einstellung aus der Pressemitteilung. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressemitteilung wurde mit 17 Uhr, also kurz vor Redaktionsschluss, geschickt gewählt. Damit wurde gezielt verhindert, dass die Familie oder das „Bündnis in Erinnerung an Qosay“ ihrerseits mit einem Pressestatement auf die Einstellung reagieren konnten. Entsprechend übernahm v.a. die lokale Presse fast ausschließlich die Erklärungen aus der staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilung. So sieht also der Umgang mit Angehörigen aus, deren Sohn, Enkel, Bruder, Cousin, Freund im Polizeigewahrsam tödlich kollabierte.
„Widersprüchliche Darstellung der Staatsanwaltschaft“
Aber auch der Inhalt der Einstellungsmitteilung ist haarsträubend. So widerspricht sich die Staatsanwaltschaft allein schon in der Darstellung der Geschehnisse vom 5. März 2021 selbst. Während sie anfangs entgegen der Zeugenaussagen immer wieder erklärte, Qosay habe Erste Hilfe durch die Rettungssanitäter abgelehnt, behauptet sie nun, eine Untersuchung habe noch vor Ort stattgefunden und alle Parameter seien normal gewesen. Qosay sei laut Staatsanwaltschaft zudem nach der Festnahmesituation eigenständig und in guter Verfassung zum Polizeiauto gelaufen, um dort Platz zu nehmen.
Dies widerspricht sehr deutlich den Aussagen des am Tatort anwesenden Freundes. Dieser hatte direkt nach dem Vorfall geschildert, dass Qosay nach dem intensiven Pfeffersprayeinsatz und der langen Zeit, die er unter dem Körpergewicht des Polizisten lag, darüber klagte, keine Luft zu bekommen und nicht mehr in der Lage war, selbst zu laufen und von den Polizisten ins Auto geschleppt werden musste. Auch die Tatsache, dass die mehrfachen, eindringlichen Forderungen Qosays nach Wasser – auch in Reaktion auf den massiven Pfeffersprayeinsatz – weder von den Polizeibeamten noch von den Rettungssanitätern ernst genommen wurden, interessiert die Staatsanwaltschaft nicht. Eine unterlassene Hilfeleistung kann sie nicht erkennen. Warum es jedoch möglich war, Verstärkung zu rufen, aber nicht möglich gewesen sein soll, in dem eng besiedelten Wohngebiet Wasser zu organisieren, bleibt offen.
„Eine Tat, ein Toter – aber keine Täter. Mal wieder“
Dabei ist mittlerweile klar: Qosay hatte bereits einen Atemstillstand, als die Rettungskräfte bei der Polizei ankamen. Er musste lange wiederbelebt werden. Qosay starb also im Polizeigewahrsam. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg zeigt jedoch keinerlei Interesse, aufzuklären, warum ein mitten im Leben stehender 19-Jähriger in Delmenhorst lebendig auf einer Parkbank sitzen kann und kurze Zeit später nach einem Polizeieinsatz in der Zelle tödlich kollabiert.
Stattdessen präsentiert die Staatsanwaltschaft als quasi ultimative Erklärung für Qosays Tod den Hinweis, dass in seinem Mageninhalt sogenannte „Superabsorber“ aufgefunden worden seien (Superabsorber sind Kunststoffe, die extrem viel Wasser aufsaugen können). Völlig unaufgekärt und unhinterfragt bleibt dabei, wie die Superabsorber in Qosays Magen gekommen sein sollen. Völlig unklar bleibt außerdem, woher der Superabsorber kam und warum Qosay ihn geschluckt haben sollte. Aber die Staatsanwaltschaft gibt sich hier mit ihren eigenen absurden Spekulationen zufrieden und stellt sie als vermeintliche Lösung aller Fragen dar. Doch die Staatsanwaltschaft wäre nicht die Staatsanwaltschaft, wenn sie nicht bei jedem Todesfall infolge staatlicher Gewalt entweder eine individuelle medizinische Todesursache präsentieren würde, wie Herzvorerkrankungen (Achidi John, Laye Alama Condé, William Tonou-Mbobda) oder einen Suizid behaupten würde, wie bei Oury Jalloh, Amed Ahmad, Robble Warsame, Yaya Jabbi.
„Die Polizei in Delmenhorst hat ein Gewaltproblem“
In der gesamten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft wird deutlich: Jede Verantwortung seitens der Polizeibeamten wird weg-erklärt. Dabei ist weithin bekannt, dass die Polizei in Delmenhorst ein Gewaltproblem hat, dem sich die Stadt Delmenhorst stellen muss – ob sie will oder nicht. Nach dem Tod von Qosay haben sich zahlreiche Delmenhorster Bürger:innen zu Wort gemeldet, die von ständigen rassistischen Kontrollen, Schikanen, aber auch von Übergriffen und Gewalt durch Polizeibeamte der Delmenhorster Polizei berichteten. Auch nach dem Tod von Qosay gab es weitere Fälle von Polizeigewalt in Delmenhorst. Die Polizisten, die Qosay misshandelt und willkürlich auf die Wache gebracht haben und die in seinen Tod verstrickt sind, sind nach wie vor im Dienst und fahren weiterhin Streife, auch im Wollepark. Als Freunde von Qosay werden wir weiterhin durch ungerechtfertigte Kontrollen schikaniert – auch durch die Beamten, die Qosay festgenommen haben. Insgesamt sind die Präsenz und Provokationen der Polizei an Orten wie dem Wollepark extrem angestiegen.
Demonstration: „Gerechtigkeit für Qosay! Gegen Polizeigewalt!“
Aber wir schweigen nicht. Und wir vergessen nicht! Als Bündnis in Erinnerung an Qosay werden wir weiter kämpfen – für Aufklärung und Gerechtigkeit, gegen Polizeigewalt und Rassismus!
Die Anwältin hat mittlerweile Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eingelegt. Wir, die Familie, Freund:innen und solidarische Personen, rufen drei Monate nach der Ermordung von Qosay jetzt zu einer Demonstration in Delmenhorst auf. Die Demonstration ist angemeldet. Wir freuen uns über eine breite Beteiligung!
Die Demonstration findet am 5. Juni 2021 ab 14 Uhr auf der großen Wollepark-Wiese in Delmenhorst statt.