Nach den Stimmverlusten seiner Partei bei der Parlaments- und Präsidentenwahl in der Türkei hat der ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, seinen Rückzug aus der aktiven Politik angekündigt. Am Mittwoch teilte der 50-Jährige im Kurznachrichtendienst Twitter zwei Absätze aus einem Interview mit der Nachrichtenplattform Artı Gerçek, das am Donnerstag vollständig veröffentlicht werden soll. Er werde den Widerstand aus dem Gefängnis fortsetzen – mit der gleichen Hartnäckigkeit, wie all seine anderen Genoss:innen – ziehe sich jedoch vorerst aus der aktiven Politik zurück, heißt es darin.
Die HDP, die zur Türkei-Wahl aufgrund eines drohenden Verbots unter dem Dach der Grünen Linkspartei (YSP) angetreten ist, hatte am 14. Mai deutliche Verluste erlitten. Nach dem endgültigen Ergebnis der Parlamentswahl lag die YSP bei 8,79 Prozent der Stimmen. Damit entsendet sie 61 Abgeordnete in die türkische Nationalversammlung. Bei der Abstimmung 2018 erreichte die HDP noch 11,62 Prozent der Stimmen und gewann 67 Mandate.
„Ich entschuldige mich aufrichtig dafür, dass ich nicht in der Lage gewesen bin, eine Politik zu vertreten, die unseres Volkes würdig ist“, schrieb Demirtaş weiter auf Twitter. In dem Post bedankte er sich zudem für „konstruktive Kritik“, die an ihn gerichtet worden sei. Er werde nun versuchen, daraus Nutzen zu ziehen.
Demirtaş, der zwischen 2014 und 2018 zusammen mit der türkischen Politikerin Figen Yüksekdağ die genderparitätische Doppelspitze der HDP leitete, befindet sich seit 2016 unschuldig im Gefängnis von Edirne. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) forderte bereits mehrfach seine Freilassung. Die türkische Staatsführung ignoriert entsprechende Urteile.
Am vergangenen Sonntag hat Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan sich in der Stichwahl um die Präsidentschaft gegen seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) durchgesetzt. Er wurde für fünf weitere Jahre als Präsident bestätigt. Damit endet auch die Hoffnung auf eine Freilassung von Demirtaş. Kılıçdaroğlu hatte ihm und anderen politischen Gefangenen im Wahlkampf ihre Freilassung zugesichert. Erdoğan deutete bereits in seiner ersten Rede nach der Stichwahl an, dass es unter ihm keine Freilassung für Demirtaş gebe.