Demirtaş: Urteil im neu aufgerollten Terrorprozess

Im neu aufgerollten Prozess wegen „Enthüllung der Identität von Personen, die mit der Terrorbekämpfung befasst sind“ ist der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş erneut zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Im neu aufgerollten Prozess wegen „Enthüllung der Identität von Personen, die mit der Terrorbekämpfung befasst sind“ ist der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş am Freitag erneut zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Im ersten Verfahren im Mai 2021 hatte ihn das Gericht in Ankara ebenfalls zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Ein regionales Berufungsgericht hatte das Urteil auf Antrag der Anklagebehörde im vergangenen April aufgehoben und angeordnet, dass der Fall wegen unzureichendem Strafmaß neu verhandelt werden muss.

Gegenstand des Verfahrens ist eine angebliche Bedrohung von Yüksel Kocaman, ehemaliger Chefankläger in der türkischen Hauptstadt und mittlerweile Staatsanwalt am Kassationshof. Er gilt als treuer Gefolgsmann von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, beide lernten sich 1999 im Gefängnis kennen. Kocaman war der für die Vollzugsanstalt zuständige Staatsanwalt, Erdoğan saß wegen einem volksverhetzenden Gedicht in Untersuchungshaft. Kocaman gilt zudem als der Ankläger, der trotz EGMR-Urteil die Freilassung von Demirtaş verhinderte.

Demirtaş wurde im Wesentlichen eine Äußerung zur Hochzeit von Kocaman vorgeworfen. „Es gab eine Zeit, als Staatsanwälten sogar gepanzerte Fahrzeuge geschenkt wurden. Dennoch gelang es ihnen nicht, sich der Justiz zu entziehen. Die Geschenktüten, die euch jemand in die Hände drückt, werden euch ebenfalls nicht vor Strafverfolgung bewahren“, kommentierte Demirtaş die Feier unter anderem in einem anderen anhängigen Verfahren gegen ihn. An der Hochzeit im Jahr 2020 im Sheraton-Hotel in Ankara waren neben Präsident Recep Tayyip Erdoğan auch der Vorsitzende des Kassationshofs, die Minister für Inneres und Justiz, der Generalstabschef und der Vorsitzende der Wahlkommission zu Gast.

Die Oberstaatsanwaltschaft von Ankara hatte eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren für Demirtaş gefordert, weil er Kocaman mit seiner Aussage nicht nur als „Person in einem Amt für Antiterrorbekämpfung“ denunziert, sondern auch bei „Anhängern von Terrororganisationen zur Zielscheibe“ gemacht und damit gegen das Antiterrorgesetz Nr. 3713 Art. 6/1 verstoßen hätte. Der Artikel regelt das „Verbot der Enthüllung der Identität von Personen, die mit der Terrorbekämpfung befasst sind, oder anderer Personen, die so zur Zielscheibe von Gewalttaten werden könnten, ferner die Ankündigung, dass gegen bestimmte feststellbare Personen von Terroristen Gewalttaten begangen werden könnten.“ Nicht erforderlich ist, dass es tatsächlich zu einem Anschlag gegen die genannten Personen kommt.

Demirtaş, der im F-Typ-Gefängnis Edirne im Westen der Türkei inhaftiert ist und über das Videokonferenzsystem SEGBIS in die Verhandlung eingebunden wurde, wies die Anschuldigungen gegen ihn zurück. Er betonte, dass es sich bei der „kriminalisierten Äußerung“ um eine Passage aus seiner Verteidigungsrede in einem anderen Verfahren gehandelt habe. Dem schloss sich auch einer der Richter an und sprach sich für einen Freispruch wegen nicht vorhandener Straftat aus. Die Verteidigung von Demirtaş hat Rechtsmittel angekündigt.

Demirtaş trotz EGMR-Urteil im Gefängnis

Selahattin Demirtaş ist seit knapp sechs Jahren im Gefängnis. Der damalige HDP-Vorsitzende wurde im November 2016 zusammen mit neun weiteren HDP-Abgeordneten, darunter der früheren Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ, verhaftet. Trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wird er nicht freigelassen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm im Hauptverfahren unter anderem Gründung und Führung einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Volksverhetzung vor. Die Anklage baut auf 31 Ermittlungsberichten auf, die dem türkischen Parlament während seiner Zeit als Abgeordneter zur Aufhebung der Immunität vorgelegt worden waren. Sollte Demirtaş verurteilt werden, drohen ihm bis zu 142 Jahre Haft. Im Verfahren um die Proteste vom Oktober 2014 gegen die türkische Unterstützung für die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) beim Überfall auf die Stadt Kobanê in Rojava werden für Demirtaş sogar bis zu 15.000 utopische Jahre Gefängnis gefordert. In mehreren Verfahren, darunter wegen Präsidentenbeleidigung, wurde Demirtaş bereits zu verschieden hohen Haftstrafen verurteilt.