„Wo das Recht aufhört, beginnt der Widerstand“

Die Menschenrechtsverteidigerin Günseli Suna Kaya nahm an der Widerstandfront gegen die Regierungen, die nach dem Putsch von 12. September 1980 in der Türkei an die Macht kamen, teil. Sie sagt: „Da wo das Recht aufhört beginnt der Widerstand.“

Wir sprachen mit der ehemaligen Vorsitzenden des Büros des Menschenrechtsvereins IHD, Günseli Suna Kaya, über die Entwicklung des Widerstands gegen die verschiedenen Formen der Unterdrückung durch die Regierungen nach dem Militärputsch von 1980 bis heute.

Kaya erklärt, dass sich der Putsch vor nunmehr 38 Jahren gegen die gewerkschaftliche Organisierung, den Kampf an den Gymnasien und Universitäten gerichtet habe. Die Forderungen der Arbeiter*innklasse hätten sich von einem reinen Bezug auf die Ökonomie weiter vergesellschaftlicht und damit zu einem allgemeinen Wunsch nach Gerechtigkeit entwickelt. Der Putsch habe auch die Umsetzung von Özals „24 Punkte Januar-Wirtschaftspakets“ erleichtert. Das Paket, das die Kürzung der Löhne der Arbeiter*innen, die Erhöhung der Steuern, sprich die Stärkung der Kapitalisten beinhaltete, hatte die Grundlage für eine Vereinigung der organisierten Arbeiter*innenschaft und den mit ihr solidarischen Studierenden, wie auch den anderen Teilen der Bevölkerung gelegt.

Das wurde nicht in einer Nacht geplant

„Dieser Putsch war nicht in einer Nacht geplant worden. Der Geheimdienst hatte ihn schon vorher geplant und die Führungskader der revolutionären Organisationen identifiziert. Es fanden zeitgleiche Razzien an allen Orten, in Vereinen, Strukturen und Kooperativen statt. Ihre Führung wurde innerhalb einer Nacht ins Gefängnis geworfen“, sagt Kaya.

Die Gefängnisse wurden zum Widerstandsgebiet

Kaya war am 30. März wegen des Widerstands bei einem Gedenken an Kızıldere entlassen worden. Dass alle Mitglieder des Lehrer*innenvereins TÖBDER entlassen wurden, weil sie eine Boykottaktion wegen des Maraş-Massakers durchgeführt haben, hatte sie dann im Gefängnis erfahren.

Kaya erzählt wie nach dem Putsch die lange zuvor nicht mehr praktizierte Todesstrafe wieder umgesetzt wurde, von den Massakern und der Folter in den Gefängnissen. Die Festnahme konnte damals durch einen Richter von dreißig Tagen zweimal auf insgesamt 90 Tage verlängert werden. Aufgrund all dieser Repression sind die Gefängnisse zu Widerstandsgebieten geworden.

Die Vorgängerinnen der Samstagsmütter

Kaya protestierte 1984 gemeinsam mit den als Vorgängerinnen der Samstagsmütter bekannten Didar Şensoy, Leman Fırtına, Melahat Sarptuna, Mahide Açan, Hasan Açan, Gülten Akın, İsmet Pekdemir und anderen mit den blutigen Kleidern ihrer ermordeten Kinder in der Hand vor dem Parlament. Sie erinnerte daran, dass der IHD am 17. Juli 1986 gegründet worden war, demselben Tag, an dem sie zum zweiten Mal ins Gefängnis kam.

Kaya erzählt, dass sich die Presse damals noch nicht in den Händen der Kapitalmonopole befunden habe und daher sensibler gegenüber der Bevölkerung gewesen sei. Sie fährt fort: „Es gab heftige Strafen, aber es erschienen Nachrichten und sie erregten Aufmerksamkeit. Es entstand ein Bewusstsein darüber, dass die Kinder in den Gefängnissen versehrt werden.“

Heute herrscht das Unrecht

Heute werden die Wünsche eines Mannes in Gesetze gegossen, sagt Kaya. „Schaut euch an, wie die politischen Rechte seit damals vernichtet worden sind. Die Vorsitzenden, Bürgermeister und Stadtratsmitglieder einer Partei, die Millionen Stimmen erhalten hat, sind immer noch im Gefängnis. Wo liegt denn hier die Macht beim Volk? Definieren wir dieses Volk auf der Grundlage seiner Zusammensetzung oder aufgrund seiner Unterstützung für die Regierung?“

Der Kampf der Frauen erweckt die Hoffnung

Die Methoden des Faschismus haben sich von gestern bis heute geändert und auch die Revolutionär*innen haben Mittel der Solidarität und des Widerstands dagegen entwickelt. Die wichtigste Entwicklung habe allerdings an der Frauenfront stattgefunden, betont Günseli Suna Kaya. Die Aktivistin erklärt dazu: „Es gibt Widerstände gegen reaktionäre, feudale Praxen und Gesetze, an denen Frauen jeden Alters teilnehmen. So wie sich der Arbeiterwiderstand im Allgemeinen entwickelt, so gibt es auch einen Widerstand der Arbeiterinnen. Dort wo das Recht aufhört, fängt der Widerstand an. Ich bin nicht hoffnungslos, was die Zukunft betrifft. Auch wenn sie mit den Institutionen des 12. September weitermachen, früher oder später wird es enden.“