Bundesregierung nimmt faschistische Drohungen auf leichte Schulter

Aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass dem BKA zwei Dutzend Fälle von Drohungen gegen Kritiker des AKP/MHP-Faschismus in Deutschland bekannt sind. Die Bundesregierung sieht jedoch keine „konkrete Gefährdung“.

Dem Bundeskriminalamt ist offenbar nur ein Bruchteil der Flut von Drohungen gegen Menschen, die dem AKP/MHP-Faschismus kritisch gegenüberstehen, bekannt. An Wände gesprühte Drohungen, eingeschlagene Scheiben und Hassbotschaften in sozialen Netzwerken sind an der Tagesordnung. Daher wirkt die Zahl von 24 registrierten Drohungen gegen Kritiker*innen der türkischen Regierung zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 1. März 2021 absurd niedrig. Diese Zahl geht aus einer ANF vorliegenden Kleinen Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, hervor. Das BKA räumt selbst ein, dass die Zahl „keinen Anspruch auf Vollständigkeit“ habe, denn nur angezeigte Straftaten würden registriert und es gebe keine trennscharfe Kategorie, unter denen solche Straftaten erfasst würden.

Eine aktive Erfassung faschistischer Drohungen ist offenbar zu viel Arbeit

Das BKA schreibt eine „automatisierte Fallzahlendarstellung dieser Straftaten“ sei nicht möglich. Das bedeutet übersetzt, das BKA hält die Drohungen für nicht relevant genug, um sie einzeln zu erfassen oder ihnen aktiv nachzugehen. Diese Haltung unterstreicht das BKA, indem es behauptet, „eine konkrete Gefährdung für Menschen in Deutschland wegen ihrer öffentlich vertretenen kritischen Haltung gegenüber der türkischen Politik“ läge nicht vor.

Jelpke: „Drohungen dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden“

Diese Darstellung ist angesichts der Ernsthaftigkeit der Drohungen und der Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland mehr als leichtsinnig. Ulla Jelpke erklärt hierzu: „Mit ihren Drohbotschaften wollen die anonymen Absender Kritikern der türkischen Regierung in Deutschland zeigen, dass sie unter Beobachtung stehen. Auch, wenn die Bundesregierung keine konkrete Gefährdung der Betroffenen sehen will, sollten diese Drohungen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Denn zum einen leben in Deutschland zahlreiche Anhänger gewaltbereiter türkisch-faschistischer Netzwerke wie der Grauen Wölfe, die für Übergriffe auf Kurden, Linke und Oppositionelle aus der Türkei bekannt sind. Und zum anderen haben viele der Bedrohten Angehörige in der Türkei, deren Sicherheit durch das Erdogan-Regime und seine Anhänger gefährdet ist.“

Dem wäre hinzuzufügen, dass die Morde an Sakine Cansız, Leyla Şaylemez und Fidan Doğan am 9. Januar 2013 in Paris von dem zuvor in Deutschland lebenden MIT-Killer Ömer Güney begangen wurden und mehrere Mordpläne gegen führende Vertreter*innen kurdischer Organisationen in Deutschland aufgedeckt wurden.

Türkisch-rechtsextremer „NSU 2.0“

Im Dezember 2020 machte eine Reihe von Betroffenen, darunter die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut und die Ko-Vorsitzende der Hamburger Linksfraktion Cansu Özdemir sowie die österreichische Grünen-Politikerin Berivan Aslan in einer gemeinsamen Erklärung eine Welle von Morddrohungen durch türkische Rechtsextremisten öffentlich. In der Erklärung heißt es: „Der Hass türkischer Faschist:innen richtet sich besonders gegen uns als aktive Kurd:innen, Armenier:innen, Aramäer:innen, Jüd:innen, gegen Linke sowieso. Bestärkt werden sie dabei von ganz oben, also von der türkischen AKP-Regierung – dies ist ein offenes Geheimnis.“

Die Drohungen über werden von Accounts mit Namen wie „Jitemci-turkeyy“ verschickt. Der Accountname spielt auf den türkischen Militärgeheimdienst JITEM an, dessen Todesschwadronen für zahlreiche Morde an kurdischen Oppositionellen in den 1990er Jahren verantwortlich waren. Das BKA sieht ein ähnliches Spektrum der Betroffenen. In der Antwort der Bundesregierung heißt es: „Bei den in den o. g. 24 Fällen betroffenen Personen handelte es sich um Politiker und Politikerinnen der Partei DIE LINKE., Internetblogger, Journalisten/Buchautoren, Wissenschaftler, Sportler, Künstler, Abgeordnete/Anhänger der türkischen Partei HDP, einen Vorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschlands e.V. sowie Lokalpolitiker.“

Ulla Jelpke kommentiert: „Die Drohungen gegen Kritiker der türkischen Regierung in Deutschland im Namen der Jitem-Todesschwadrone ähneln den im Namen eines ‚NSU 2.0‘ von Neofaschisten verschickten Drohungen an antirassistische Aktivisten, Anwältinnen und Politiker. In beiden Fällen wird – einmal durch deutsche und einmal durch türkische Faschisten – versucht, Aktivisten so einzuschüchtern, dass sie nicht mehr öffentlich in Erscheinung treten.“

Türkische rechtsextreme Männer als Täter

Die Drohungen kommen nach Angaben der Bundesregierung sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland. Oft ließen sich die Täter nicht ermitteln. Bei den ermittelten Tätern handelt es sich um Männer, die sich als türkische Rechtsextremisten definieren und in Deutschland leben. Die Bundesregierung schreibt über die Medien, über welche die Drohungen erfolgen: „Grundsätzlich werden Andersdenkende auf allen bekannten Kommunikationskanälen, entweder unmittelbar persönlich, z.B. über Briefe, Telefonanrufe oder elektronische Nachrichten, aber auch in Form von Veröffentlichungen im Internet und vergleichbaren Medien angegangen.“

Prüfung des Verbots der Grauen Wölfe vorantreiben

Angesichts der Gefahr durch türkische Faschisten kritisiert Ulla Jelpke die Verschleppung der Prüfung eines Verbots der Grauen Wölfe durch die Bundesregierung: „Im November hat der Bundestag einen gemeinsamen Antrag der Regierungsfraktionen, der FDP und der Grünen beschlossen, in dem gefordert wurde, den Einfluss türkischer Rechtsextremisten zurückzudrängen und ein Verbot der Grauen Wölfe zu prüfen. Ich hoffe, dass den Worten endlich auch Taten folgen. Doch anscheinend spielt die Bundesregierung auf Zeit. Juristische Hindernisse erscheinen mir dabei vorgeschoben, denn das Hauptproblem dürfte politischer Art sein. Schließlich will die Bundesregierung die türkische Regierung nicht verärgern. Zu befürchten ist von daher, dass der Bundestagsbeschluss so nur ein Warnschuss in Richtung Ankara war, sich nicht zu sehr in die deutsche Innenpolitik einzumischen.“

Die Betroffenen werden als Menschen mit „türkischem Migrationshintergrund“ gelabelt

Jelpke kritisiert auch die Formulierung der Bundesregierung bei der Definition der Betroffenengruppen: „Dass die Bundesregierung bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen von einem ‚türkischen Migrationshintergrund‘ spricht, ist ebenso ignorant wie unsensibel. Denn ein Großteil der Betroffenen sind gerade deswegen ins Fadenkreuz türkischer Nationalisten geraten, weil sie Kurdinnen und Kurden sind. Erinnert sei daran, dass die Todesschwadronen des Jitem, in dessen Namen die jüngsten Drohungen erfolgten, während seiner Existenz in den 1990er Jahren ausschließlich Kurden verschleppten, folterten und ermordeten. Indem das BKA den kurdischen Hintergrund vieler nun Bedrohter unterschlägt, zeigt es nur, wie wenig ernst es deren Schutz letztlich nimmt.“