Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, befragte die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Wahl des türkische Rechtsextremisten Köksal Kuş zum neuen Vorsitzenden der türkischen Lobbyorganisation „Union Internationaler Demokraten“ (UID) in Deutschland über ihre Einschätzung der Organisation und ihre Fortschritte bei der beschlossenen Prüfung eines möglichen Verbots der „Grauen Wölfe“.
Keine offene Angabe zur Anzahl der Grauen Wölfe innerhalb der UID
Die Bundesregierung beschreibt in ihrer Antwort die UID zwar als „zentrale Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland“, weicht aber in Bezug auf das Verhältnis der UID zur MHP aus und behauptet, ihr lägen zu solchen Verbindungen „keine Erkenntnisse vor“. Dennoch erklärt die Bundesregierung, der im Januar 2021 neugewählte Vorsitzende der UID, Köksal Kuş, verfüge „medienöffentlichen Erkenntnissen“ zufolge über Verbindungen zum türkischen Rechtsextremismus. Kuş, der bereits 2016 bis 2018 dem UID-Vorstand angehört hat, soll demnach Mitglied im Verein der Türkischen Föderation (ADÜTDF) gewesen sein, die als größter Verband im türkisch-nationalfaschistischen Spektrum der sogenannten Idealistenverbände und Grauen Wölfe gilt. Möglicherweise um bereits im Vorfeld eines möglichen Verbots der Grauen Wölfe diplomatische Schwierigkeiten zu minimieren, hält die Bundesregierung die Zahl der Grauen Wölfe in der UID unter Verschluss.
Köksal Kuş – Faschist mit langer Geschichte
Auf seiner aktuellen Facebookseite preist Kuş den Killer Abdullah Çatlı, der in viele Morde an Linken und Sozialist*innen verwickelt war, und lässt den Gründer der Grauen Wölfe, Alparslan Türkeş, für seine „Barmherzigkeit“ hochleben. Sein rechtsextremes Engagement reicht jedoch weit in die Geschichte zurück. In türkischen Medien heißt es über Kuş, er sei 1979 gezwungen gewesen, nach Deutschland zu gehen, nachdem er als Angehöriger der Ülkücü-Bewegung „Bekanntschaft mit der Politik machte“. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der Türkei bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen den Grauen Wölfen und linken Gruppen. Die Grauen Wölfe waren für zahlreiche Morde an politischen Gegnern, aber auch für Pogrome gegen Angehörige der alevitischen Religionsgemeinschaft verantwortlich. Einige der an Morden beteiligten Mitglieder der Grauen Wölfe entzogen sich damals einer drohenden Strafverfolgung durch Flucht ins Ausland. Es ist durchaus möglich, dass Kuş einer von ihnen war.
UID: Lobby der türkischen Regierung aus islamistischer AKP mit faschistischer MHP
Ulla Jelpke kommentiert: „Die im Januar erfolgte Wahl eines Aktivisten der Grauen Wölfe an die Spitze des Lobbyverbandes UID zeigt den auch von der Bundesregierung wahrgenommenen wachsenden Einfluss der türkischen Faschisten auf die türkische Regierungspolitik. Offensichtlich handelt es sich bei der UID - anders als von der Bundesregierung angegeben - nicht um eine AKP-Lobbyorganisation, sondern vielmehr um eine Lobby der türkischen Regierungsallianz aus der islamistischen AKP mit der faschistischen MHP.“
Bundesregierung: MHP-Forderung werden von türkischer Regierung in Gesetze gegossen
Die Bundesregierung bescheinigt der MHP einen großen Einfluss im türkischen Regime. In der Antwort heißt es: „Die Bundesregierung beobachtet, dass politische Forderungen der MHP von türkischen Regierungsmitgliedern aufgegriffen werden und regelmäßig Eingang in Gesetze finden. Weiterhin hat die Bundesregierung Kenntnis von Berichten, wonach der Anteil von Personen aus dem Umfeld der MHP im Staatsapparat merklich angestiegen ist.“
Bundesregierung versucht, Verbot der Grauen Wölfe-zu verschleppen
Die Bundesregierung behauptet, aktiv gegen den türkischen Rechtsextremismus zu sein und begründet dies mit dem „sukzessiven Ausbau“ der Berichterstattung in den Verfassungsschutzberichten. So wird nun auch der Dachverband türkisch-islamischer Kulturvereine (ATIB) neben dem Verband ADÜTDF im Kapitel zum türkischen Rechtsextremismus benannt. Auch wenn dies absurd wenig im Vergleich zu den Aktivitäten türkischer Faschisten ist, so zeigt es erneut die widersprüchliche Haltung der Bundesregierung. Der Zentralrat der Muslime, mit dem die Bundesregierung und viele Abgeordnete gerne und immer wieder zusammenarbeiten, ist beispielsweise von ATIB bis in die Spitze hinein durchsetzt. So ist der stellvertretende Vorsitzende des Zentralsrats, Mehmet Alparslan Çelebi, führender Vertreter des rechtsextremistischen Verbands ATIB. Ob nun ein Verbot der Grauen Wölfe auf ATIB zutreffen würde, bleibt unklar. Sicher ist aber, dass ein solches Verbot zu schwerwiegenden Problemen der Bundesregierung mit vielen eng mit ihr vernetzten Verbänden führen würde. Daher ist es kein Wunder, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, genauere Angaben zum Fortschreiten der Prüfung eines Verbots der Grauen Wölfe zu machen.
Jelpke kritisiert die Bundesregierung: „Offensichtlich spielt die Bundesregierung bezüglich des Bundestagsbeschlusses vom November, ein Verbot der Grauen Wölfe zu prüfen, auf Zeit. Juristische Hindernisse erscheinen mir dabei vorgeschoben, denn das Hauptproblem dürften politische Hindernisse sein. Schließlich will die Bundesregierung die türkische Regierung nicht verärgern. Zu befürchten ist von daher, dass der Bundestagsbeschluss so nur ein Warnschuss in Richtung Ankara war, sich nicht zu sehr in die deutsche Innenpolitik einzumischen.“
Alperen-Faschisten werden ignoriert
Die Föderation der Weltordnung in Europa (Avrupa Nizâm-ı Âlem Federasyonu - ANF, ehemals ATB) stellt einen weiteren Eckpunkt in der türkisch-faschistischen Organisierung in Europa und Deutschland dar. Dieser Dachverband „zeigt tatsächliche Anhaltspunkte, die nahelegen, dass der Verband dem Ülkücü-Spektrum zuzurechnen ist“. Nach Angaben der Bundesregierung werden ihm etwa 1.200 Mitglieder zugerechnet, die in ca. 15 Ortsvereinen organisiert sind. Die Föderation der Weltordnung in Europa verstehe sich als Europaorganisation der türkisch nationalistischen „Partei der großen Einheit“ (BBP) und deren Jugendverband „Alperen Ocakları“. Führende Funktionäre der BBP sind für schwerste Massaker an Alevit*innen wie das Massaker von Maraş (ku. Gurgum) im Jahr 1979 verantwortlich. Die BBP vertritt einen Faschismus verstärkt religiöser Prägung. Die Mörder von Hrant Dink und von drei Christen in Meletî (tr. Malatya) im Jahr 2007 kamen aus dem Alperen-Umfeld. Dennoch wird der Dachverband als Europavertretung in Veröffentlichungen der Bundesregierung kaum bzw. gar nicht erwähnt. Das verwundert angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Avrupa Nizâm-ı Âlem Federasyonu um den militantesten Flügel des verbandsorganisierten Ülkücü-Milieus handelt.
Jelpke kritisiert das Desinteresse der Behörden an den hochgefährlichen Rechtsextremisten: „Mir ist es unverständlich, warum in den Veröffentlichungen der Bundesregierung neben der Türkischen Föderation und ATIB nicht auch die Föderation der Weltordnung ANF als Ülkücü-Verband genannt wird. Die ANF mag zwar kleiner sein als die beiden anderen Föderationen, dafür vereinen sie und ihre Mutterpartei BBP in der Türkei den militantesten Teil des verbandsmäßig organisierten Ülkücü-Spektrums. Schließlich spalteten sich mit der BBP in den 1990er Jahren diejenigen Grauen Wölfe ab, die aufgrund ihrer Verwicklung in Straßengewalt und politische Morde für die MHP untragbar geworden waren.“