„An den Händen dieses Staates klebt das Blut der Kurden“

Bei ihrer virtuellen Mahnwache gegen das „Verschwindenlassen“ in Gewahrsam hat die Initiative der Samstagsmütter das Schicksal von Faik Candan thematisiert. Der kurdische Rechtsanwalt wurde 1994 von Paramilitärs in Ankara verschleppt und hingerichtet.

Der kurdische Rechtsanwalt Faik Candan „verschwand“ am 2. Dezember 1994, nachdem er sein Büro im Stadtteil Sıhhiye in Ankara verlassen hatte. Sein Leichnam wurde am Morgen des 14. Dezember in einem Straßengraben nahe einer Alm etwa 15 Kilometer von der Kreisstadt Bala entfernt von einem Hirten gefunden. Candan war vier Mal in den Kopf, Hals und die Brust geschossen worden.

Wenige Tage vor seiner Entführung durch Paramilitärs hatte Mustafa Candan, ein Bruder von Faik Candan, einen auffälligen Wagen vor dem Haus beobachtet. Die Insassen: Ibrahim Şahin und Abdullah Çatlı, zwei Auftragsmörder des unter der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller etablierten „tiefen Staates“. Çatlı, ein rechtsextremer Mafioso und früherer Funktionär der paramilitärisch-faschistischen „Idealistenverbände, der in den 90er Jahren viele Mordaufträge des Staates erledigte und per Interpol gesucht wurde, starb 1996 in der westtürkischen Stadt Susurluk zusammen mit hochrangigen Funktionären von Polizei und Militär bei einem Autounfall. Dieser Verkehrsunfall, der als „Susurluk-Skandal“ in die Geschichte eingehen sollte, förderte die tiefe Zusammenarbeit zwischen Staat und organisiertem Verbrechen zutage.

Faik Candan war zum Zeitpunkt seiner Entführung Rechtsanwalt der Verteidigung im Fall der DEP-Abgeordneten, die im März 1994 aus dem türkischen Parlament heraus verhaftet wurden. Unter ihnen war auch die spätere Sacharow-Preisträgerin Leyla Zana, die zehn Jahre hinter Gittern blieb. Zwischen 1991 und 1993 übte Candan das Amt des Provinzvorsitzenden der Vorläuferin HEP aus, nach dem Parteiverbot führte er die DEP in der türkischen Hauptstadt an. Bis heute bemühen sich Angehörige um eine juristische Aufarbeitung der extralegalen Hinrichtung Candans, bislang allerdings ohne Erfolg. Ein im Jahr 2014 mühsam angestrengter Prozess endete mit Freisprüchen für die angeklagten Polizisten. Und das trotz den Aussagen von Ayhan Çarkın, einem Ex-Beamten einer Polizei-Spezialeinheit, der im türkischen TV gestanden hatte, „im Kampf gegen den Terror etwa 1000 Menschen im Dienst des Staates getötet“ zu haben, darunter auch seine Beteiligung am Candan-Mord.

Çarkıns Aussagen zufolge, die er am 26. März 2011 zunächst bei einer staatsanwaltlichen Vernehmung in Istanbul tätigte und bei einem Prozess in Ankara am 5. Juni desselben Jahres wiederholte, war Faik Candan die ersten acht Tage nach seiner Verschleppung von der Konterguerilla verhört worden. Danach wurde er einer von Mehmet Ağar, dem damaligen Polizeichef und späteren Innenminister, befehligten Spezialeinheit überstellt. Wie sich später herausstellte, hatte ein Zeuge die Entführung des Juristen beobachtet. „Mein Name ist Faik Candan. Ich bin Rechtsanwalt und werde gerade verschleppt“, rief der zweifache Vater, der zum Zeitpunkt seines Todes 32 Jahre alt war, demnach. Jahrelang habe sich der Zeuge aber nicht getraut, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil er um sein eigenes Leben fürchtete.

Die Familie von Faik Candan hat ihren Kampf um Gerechtigkeit nicht aufgegeben. „An den Händen dieses Staates klebt das Blut der kurdischen Gesellschaft“, hieß es heute bei der virtuellen Mahnwache gegen das „Verschwindenlassen“ in Gewahrsam der Initiative der Samstagsmütter. „Und solange die Hände des türkischen Staats blutig sind, wird der Widerstand für unsere Toten weitergehen.“